: Schwierige Motivationslage
Landesverbände der Grünen zwischen Skepsis und Dankbarkeit: Nach dem Rostocker Parteitag sehen die Grünen im Osten teils den Pazifismus gestärkt, teils die Wahlchancen gemildert. Die „Ost-Diskussion“ in Rostock wird als Wiedergutmachung gewertet
aus Dresden MICHAEL BARTSCH
Unterschiedlicher könnten die Reaktionen der ostdeutschen Bündnisgrünen auf dem Rostocker Parteitag nicht sein: Die Stellungnahmen reichen von „schwieriger Motivationslage für den Bundestagswahlkampf“ in Thüringen bis zu dem Satz „Pazifisten sind in unserer Partei gut aufgehoben.“ Fest steht nur, dass es bisher keine Austrittswelle wie beim Kosovo-Einsatz der Bundeswehr gegeben hat.
Am stärksten betroffen ist mit 11 Austritten bei etwa 500 Mitgliedern der thüringische Landesverband, darunter das Landesvorstandsmitglied Falko Scholz. In den übrigen Landesverbänden halten sich Ein- und Austritte in der Größenordnung von nur zwei Personen etwa die Waage.
Auf deutlichster Distanz zum Militäreinsatz-Beschluss bleibt nach wie vor der thüringische Landesverband, dessen Delegierte in Rostock ganz überwiegend gegen die Vorlage des Bundesvorstandes gestimmt hatten. Man befinde sich dabei auch im offenen Konflikt mit der Bundestagsabgeordneten Kathrin Göring-Eckardt, erklärte die Landesvorsitzende Astrid Rothe.
In Sachsen überlegt der Landesvorstand derzeit, wie er die Pazifisten integrieren kann – sie machen etwa die Hälfte der 960 Mitglieder aus. Sprecher Karl-Heinz Gerstenberg fühlt sich in eine Pufferposition gedrängt und denkt an die Einrichtung eines Friedensforums. Er sieht Anzeichen für eine Distanz zum Kurs der Bundespartei und einen Rückzug auf die Landes- und Kommunalpoliktik.
In Brandenburg befürchtet Landesgeschäftsführerin Marie-Luise von Halem keine drohende Blockade des ebenfalls etwa hälftig gespaltenen Landesverbandes. Immerhin sei man die einzige Partei, die sich so intensiv einer Diskussion um die Wahl der Mittel zur Terrorbekämpfung stelle. Kritik komme bei einer 6,7-Prozent-Partei immer von links, die Bevölkerungsmehrheit stehe ohnehin anderswo.
Sachsen-Anhalts Landesvorsitzender Thomas Bichler widerspricht heftig der Ansicht, in Rostock hätten sich minimalistische Positionen und ein Selbstverständnis als Verhinderer des noch Schlimmeren durchgesetzt. Es sei im Gegenteil mit der Einbeziehung radikaler Friedensgesinnung und der Begrenzung des Anti-Terror-Einsatzes ein Maximum erreicht worden. Bichler schreibt auch dem am Sonntag verabschiedeten Ostdeutschland-Papier eine „riesige Impulswirkung“ zu. Mit dieser Unterstützung werde man auch im bevorstehenden Landtagswahlkampf ein anderes Gewicht erhalten. Die Bündnisgrünen wollen hier nach nur 3,2 Prozent Wählerstimmen von 1998 erstmals wieder in einen ostdeutschen Landtag einziehen.
Für Astrid Rothe in Thüringen ist es nicht mehr als ein „nettes Papier“. Solange die Bundespartei den Osten nicht als impliziten Teil begreife, werde sich nicht viel ändern. „Lustig“ findet sie die Diskussion über Patenschaften westdeutscher und ostdeutscher Kreisverbände. Logistische und materielle Hilfe sei dringend willkommen. In Thüringen verfügt der Landesverband wegen der kommunalen 5-Prozent-Hürde über eine besonders schwache Infrastruktur.
Mehrere ostdeutsche Landesverbände bestätigten den Eindruck, trotz längerer Vorplanung habe die Ost-Diskussion nach dem Militärbeschluss den Charakter von Schadensbegrenzung und Wiedergutmachtung an den ostdeutschen Verbänden getragen.
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