schreibtischväter:
Wenn mäßige oder ausgeschriebene Journalisten Kinder bekommen, geht es den Kindern an den Kragen. Endlich haben die Journalisten ein Thema, wie sie es lieben: selbstgemacht und gratis, man muss auch das Haus nicht verlassen oder recherchieren, nur ein bisschen zukucken und abhorchen, gegebenenfalls etwas nachhelfen und ermuntern, aber der Aufwand ist gering, und man wird das Zeug los. „Kinder und Tiere gehen immer“, sagt der Chefredakteur und blecht, und fertig ist die neue Spezies im Journalismus: Schreibtischväter.
Kinder – manchmal sogar die eigenen – können Sterne in den Augen haben, umwerfend charmant sein, entwaffnend natürlich und überhaupt ganz reizend. Damit sind sie das exakte Gegenteil ihrer über sie schreibenden Väter. Schon im Kreissaal geht das los, denn schon aus der Geburt lässt sich eine Kolumne herauspressen. An offenen Muttermündern hocken die Schreibtischväter und locken mit falscher Freundlichkeit wie fiese Schokoladenonkels: Los, komm raus, ich will über dich schreiben. Keine Wunder, dass es so viele Spätgeborene gibt.
Ist das Kind einmal da, wird es rigoros ausgequetscht. Schreibtischväter betrachten ihr Kind als ihr persönliches Kapital, und das beuten sie aus nach Gewohnheitsrecht. Vieles kann beschrieben werden, so banal es auch sei, denn das Kind wird schon für die rettende Pointe sorgen, und sei es nur mit der Bestätigung des Gemeinplatzes, dass Kindermund eben Wahrheit kundtut. So ergehen sich Schreibtischväter im Kauf eines Jeansanzugs für das Töchterchen und in der U-Bahn-Fahrt mit dem Sohn. Hat er nicht ganz wundersam auf den Bettler reagiert? Brav, gut gemacht! Manchmal aber funktionieren sie nicht, die Blagen, dann werden die Schreibtischväter nervös und sauer, und kurz vor Redaktionsschluss brüllen sie ihre Botten an: Sag endlich etwas Originelles, das ich zitieren kann, los los, gleich muss ich abgeben, tu jetzt irgend etwas besonderes! „Wachsen Ananas auf Bäumen?“, fragt der eingeschüchterte Knabe, Papi ist gerettet, daraus kann er etwas machen, ein ganzes Buch, und sogar den Titel hat er schon, Sohn sei dank. Kinderarbeit ist das.
Schreibtischmütter gibt es weniger als Schreibtischväter; das liegt daran, dass schreibende Frauen als Autorinnen gesehen werden wollen, nicht als Mütter. Schreibtischväter dagegen werten sich mit ihrer Schreibtischväterei auf: Schaut her, wie ich als Mann so sensibel bin und wie ich es liebe! Was so demonstrativ ins Schaufenster gestellt wird, ist in der wirklichen Wirklichkeit aber höchst selten im Angebot.
Wenn einer sein Kind hernehmen muss, um sein Brot zu verdienen, ist er im Eimer – was ihn nicht hindert, so weiter zu machen, und irgendwer wird den Schammes schon in Druck geben. Nur eins haben die Schreibtischväter nicht bedacht: die Rache ihrer Kinder, die ihnen gewiss ist. Irgendwann sind sie groß genug, die Geschichte aus ihrer Sicht zu erzählen: Wie ekelhaft es ist, von einem einfallslosen Sack bedrückt zu werden, der sein Kind unabläßig bespitzelt, damit es ihm sein mieses Leben rettet.
WIGLAF DROSTE
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