Ein schwieriger Prozess

Finanziell unabhängig von der Pharmaindustrie versucht ein australischer Forschungsverbund einen Impfschutz gegen den Aids-Virus zu entwickeln. Ist das Projekt erfolgreich, sollen sich auch die armen Länder den Impfstoff leisten können

Durch die Studien würden so genannte Impfstoff-Positive geschaffen.

von MICHAEL LENZ

Wissenschaftler sind vorsichtige Menschen. Vorherzusagen, wann mit einem wirksamen Aids-Impfstoff gerechnet werden kann, wagt kaum einer. „Mit so einer Prognose kann man sich schwer in die Nesseln setzen“, sagte 1997 der deutsche Virologe und Impfstoffforscher Professor Reinhard Kurth. „Vielleicht“, setzte Kurth dann doch unter Bezugnahme auf eine politische Vorgabe an die Forscher durch den damaligen US-Präsidenten Bill Clinton hinzu, „haben wir einen in 10 Jahren.“ Vier Jahre später messen Experten die Zeitspanne bis zu einem Aids-Impfstoff noch immer in Dekaden.

„Wenn alles glatt geht, kann ein Impfstoff in sechs Jahren zur Verfügung stehen“, sagte Margaret „Peggy“ Johnston und fügt sofort einen Dämpfer an: „Bei der Entwicklung eines Impfstoffes ist es aber noch nie problemlos zugegangen. So ist ein Zeitraum bis zu zehn Jahren realistischer.“ Mehr als zwanzig Impfstoffvarianten seien derzeit in Arbeit, weiß Johnston, an den US-National Institutes of Health (NIH) für die Vergabe von jährlich 250 Millionen US-Dollar an Aids-Impfstoff-Forschungsprojekte weltweit zuständig sowie Beraterin der Weltaidsorganisation Unaids zu Fragen der Impfstoffentwicklung. Ob aber nach Ende der Studien einer der Impfstoffe in die Produktion gehen könne, hänge vom Grad der Wirksamkeit ab, dämpft Johnston die Hoffnungen weiter.

„Ein sicherer und effektiver Impfstoff ist die beste und kostengünstigste Chance, die HIV-Epidemie zu stoppen“, betont die Foscherin. Der Impfstoff könne je nach Art den Verbraucher wenige Dollar oder auch bis zu 100 Dollar pro Dosis kosten, so Johnston. Nach derzeitigem Stand werde für einen Impfschutz vier Impfungen notwendig sein, die dann alle 6 bis 12 Monate aufgefrischt werden müssten.

Gleichwohl werde der Einsatz selbst einer preiswerten Vakzine für viele Länder Asiens oder Afrikas kaum finanzierbar sein. Deshalb, so Johnston, müsse eine internationale Finanzierung entwickelt werden. „Erste Gespräche mit internationalen Institutionen wie der Weltbank haben bereits begonnen. Das ist ein wesentlicher Schritt in die richtige Richtung. In der Vergangenheit haben Impfstoffe Entwicklungsländern nicht zur gleichen Zeit zur Verfügung gestanden, in der sie in den Industriestaaten auf dem Markt waren. Da hat die Weltgemeinschaft versagt.“

Die Entwicklung eines HIV-Impfstoffes sei ein langsamer und äußerst schwieriger Prozess, warnt in einem HIV-Impfstoff-Glossar für Journalisten die Dachorganisation australischer Aids-Hilfen, die Australian Federation of Aids-Organisations (AFAO). Zu diesem Prozess gehörten nicht nur die klinischen Tests zur Sicherheit und Wirksamkeit der potenziellen Impfstoffe, so die scheidende AFAO-Chefin Robin Gorna. Sondern auch die Suche nach Antworten auf eine Reihe schwieriger ethischer und politischer Fragen.

Wer bekommt Zugang zur Studie, wie werden Studienteilnehmer betreut und versorgt? Wird ein Impfstoff zugänglich für die von Aids am stärksten betroffenen Länder Afrikas und Asien?

In einem weltweit einzigartigen Konsortium arbeiten in Australien als gleichberechtigte Partner der öffentliche und der private Sektor, Betroffenenorganisationen wie AFAO sowie Sozialwissenschaftler mit dem biomedizinischen Forscherteam von Professor David Cooper zusammen. Cooper hat an der Universität von New South Wales in Sydney eine Kombinationsvakzine entwickelt. Dieser gentechnisch hergestellte Impfstoff, von Cooper als „Doppelschlag“ beschrieben, setzt an der Hülle des HIV-Virus an. Er kann aber auch als Vektor-Vakzine in den Zellkern des Virus eindringen.

Das Spannende an diesem vom NIH geförderten „Australian Vaccines Consortium“ sei, dass „wir durch die Unabhängigkeit von Pharmaunternehmen einen rein akademischen und keinen profitorientierten Zugang haben“, erklärt Gorna. Das Konsortium könne so bei Erfolg die Rechte zu bestimmten Bedingungen, wie zum Beispiel die Zugangsgarantie für arme Länder, an Unternehmen verkaufen.

Ob es aber jemals so weit kommen wird, ist noch ungewiss. Nächstes Jahr läuft mit 42 Teilnehmern in Sydney die Phase-1-Studie an, um zu ermitteln, ob die von Cooper als „Double Whammy“ beschriebene Vakzine sicher ist. Etwas später startet mit voraussichtlich 200 Probanden eine zweite Phase-1-Studie in Thailand mit einer auf den dort verbreiteten Typ des Aids-Virus modifizierten Variante. Ob die Vakzine jedoch brauchbar ist, wird jedoch erst in einigen Jahren eine breit angelegte Wirksamkeitsstudie zeigen.

AFAO sieht seine grundsätzliche Rolle darin, auf eine für die Probanden in Sydney und Thailand akzeptable Ausgestaltung der Studien sowie der Vakzine selbst zu sorgen. „Wir haben bei der Entwicklung der Aids-Medikamente schlechte Erfahrungen gemacht. Das wäre besser gelaufen, wenn die Community von Anfang einbezogen gewesen wäre“, ist sich Gorna sicher.

AFAO will auch sicherstellen, dass Probanden genau über Art der Studie und des Impfstoffs sowie die potenziellen sozialen Folgen im Bilde sind. Die Impfstoffe basieren darauf, das Immunsystem durch eine vorgetäuschte HIV-Infektion zur Produktion von Antikörpern zu provozieren. Das aber habe zur Folge, dass die Probanden durch die üblichen Testverfahren als HIV-positiv diagnostiziert werden. Durch die Studien würden so genannte Impfstoff-Positive geschaffen, so Gorna. „Das kann von Kindererziehung über Partnerschaftsprobleme bis hin zu Reisebeschränkung zu immensen Problemen für diese Menschen führen.“

Weiter gelte es, unerwünschten Auswirkungen durch Fehlinterpretationen von Impfstoffversuchen in Hauptbetroffenengruppen wie zum Beispiel der Gay Community entgegenzuwirken. „Wir erleben doch gerade, dass die Verbesserung der Behandlungsmöglichkeiten einer HIV-Infektion zu einer starken Zunahme von ungeschütztem Sex geführt hat“, so Gorna. Deshalb sei eine fundierte und frühe Informationspolitik unverzichtbar. Zum Beispiel darüber, dass keiner der zurzeit sich in Arbeit befindlichen Impfstoffkandidaten zu hundert Prozent wirksam sein wird.

Wie wirksam aber muss ein Impfstoff sein, um zum Einsatz kommen zu können? Das sei schwer zu sagen und hänge auch vom Einsatzgebiet ab, so Johnston. „In Regionen mit einer hohen Verbreitung von HIV kann schon der Einsatz einer Vakzine mit, sagen wir, 50-prozentiger Wirksamkeit Sinn machen. Während es eher nicht effektiv wäre, einen solchen Impfstoff in einem Land oder einem Gebiet mit geringer HIV-Ausbreitung einzusetzen.“ Deshalb, so Gorna, sei sowohl für Studienteilnehmer und vor allem für ganze Betroffenengruppen uneingeschränkter Zugang zu Präventionsmitteln wie Kondomen oder sterilen Infektionsnadeln auch in Zukunft unabdingbar. Wesentlich sei auch, dass Studienteilnehmer Zugang zu Medikamenten im Fall einer HIV-Infektion haben.

Gornas Worte in Gottes Ohr. Politische, kulturelle und religiöse Barrieren stehen überall auf der Welt einer wirksamen Aids-Prävention entgegen. Wie zum Beispiel die rigide Antidrogenpolitik der USA, die es dem NIH die Finanzierung von Forschungsprojekten unmöglich macht, die den Nutzern von Spritzdrogen wie Heroin den Zugang zu sauberen Spritzbestecken ermöglichen. Diese Drogennutzer kommen für Impstoffstudien nicht in Frage.

„Wir sind uns dieses Dilemmas bewusst“, betont Gorna. „Für die Phase-1-Studie kommen aber nur Menschen mit einem geringem Infektionsrisiko in Betracht.“ Bei den nachfolgenden Wirksamkeitsstudien mit bis zu 30.000 Teilnehmern sehe das jedoch anders aus. „Da müssen wir dann andere oder zusätzliche Finanzierungsquellen finden.“