piwik no script img

„Star“-Wars in Istanbul

Wenn in der Türkei erfolgreiche Privatsender tagelang nicht senden dürfen, hat das nicht unbedingt mit staatlicher Zensur zu tun. Sondern mit der Medienschlacht der Großkonzerne Dogan gegen Uzan

Seit ein paar Wochen istdas populärste Gesicht des türkischen Fernsehens vom Bildschirm verschwunden

aus Istanbul JÜRGEN GOTTSCHLICH

Ali Kirca, grau meliert, sonore Stimme und immer zu einem Scherz bereit, ist im türkischen TV das, was Hajo Friedrichs mal in Deutschland war: so etwas wie der Fernsehpräsident. Kein anderer Nachrichtenmoderator hat höhere Einschaltquoten, und keine politische Diskussionssendung ist so populär wie Ali Kircas „Siyaset Meydeni“, eine Talkshow, die sich dadurch auszeichnet, dass sie auch brisanten Themen nicht aus dem Weg geht.

Doch seit ein paar Wochen ist das populärste Gesicht des türkischen Fernsehens vom Bildschirm verschwunden. Kirca darf nicht mehr moderieren, weil er glaubte, aufgrund seiner Popularität dem großen Boss widersprechen zu können. Seitdem erlebt Kirca am eigenen Leib, wie Journalismus sich in den türkischen Medien auf Kapitalismus reimt: Wer nicht bereit ist, unabhängig vom Wahrheitsgehalt, die dem Boss genehmen Meldungen zu präsentieren, fliegt. Egal, wie populär er ist.

Ali Kirca ist das prominenteste Opfer eines Medienkrieges, der seit Wochen zwischen der mächtigsten Dogan-Gruppe und ihrer letzten grossen Konkurrenz-Holding, der Uzan-Gruppe, ausgefochten wird. Mit Riesen-Headlines, seitenlangen Titelgeschichten und reißerischen Endhüllungsstorys schlagen das Flaggschiff der Dogan-Gruppe, die größte Tageszeitung Hürriyet, und Star, das auflagenstärkste Bilderblatt des Uzan-Konzerns, aufeinander ein. Ebenfalls mit von der Partie sind die beiden populären Fernsehkanäle Kanal D von Dogan und Star-TV der Uzans, in deren Sendungen so sehr vom Leder gezogen wurde, dass das staatliche Aufsichtsgremium für Radio und Fernsehen, RTUK, kürzlich die Notbremse zog und Star-TV mit einem 15-tägigen Sendeverbot belegte, der höchsten Strafe, die bislang im türkischen Privatfernsehen verhängt wurde.

Hintergrund der Auseinandersetzung ist aber nicht etwa ein journalistischer Coup, den die andere Gruppe zu überbieten versucht, ja noch nicht einmal der übliche Kampf um höhere Auflagen und Einschaltquoten. Es geht vielmehr um dubiose wirtschaftliche Aktivitäten, die den jeweiligen Mutterkonzern der Zeitungen und TV-Sender betreffen. Doch diese Enthüllungsstorys sind nicht etwa vom Geist der Aufklärung getragen, um Korruption und Nepotismus in der türkischen Wirtschaft anzuklagen. Sie werden einzig und allein mit dem Ziel lanciert, den Konkurrenten zu vernichten.

Der Kampf zwischen Dogan und Uzan ist das Finale auf einem Medienmarkt, der seit Mitte der Achtzigerjahre mehr und mehr von Unternehmen kontrolliert wird, denen ihre Zeitungen und Fernsehanstalten vor allem dazu dienen, sich persönliche politische Macht zu verschaffen und ihren anderen Unternehmen die Türen im Staatsapparat zu öffnen. Die Prototypen dieser Entwicklung sind Aydin Dogan – ursprünglich ein kleiner Autoersatzteil-Händler aus der anatolischen Provinz – und Kemal Uzan, dessen Familie vom Balkan stammt und die im Baugeschäft groß wurde.

Die Entwicklung, die die türkischen Medien in den uneingeschränkten Dienst der Kapitalinteressen stellte, begann unter dem damaligen Staatspräsidenten Turgut Özal, der die Türkei ab 1984 aus den „Fesseln einer quasi staatssozialistischen Wirtschaft befreite und für den freien kapitalistischen Markt öffnete“, wie es in den offiziellen Biografien immer so schön heißt. Özal, der lange vor Deng Xiaoping an seine Landsleute die Parole ausgab: „Werdet reich“, ist denn auch eng mit dem Aufstieg der Uzans verbandelt. 1990 gründete der Uzan-Sohn Cem zusammen mit dem Özal-Sohn Ahmet den ersten privaten TV-Kanal Interstar, aus dem das heutige Star-TV hervorging.

Seit 1984 wurden auch einstmals unabhängige, von privaten Verlegern herausgegebene Zeitungen im großen Stil von Holdings aufgekauft, die wie Dogan und Uzan ganz andere Interessen hatten: Sie nutzten ihre Medienmacht, um im Kampf um die Privatisierung der großen Staatsbetriebe die besten Happen abzubekommen. Diesen Interessen mussten und müssen sich die Journalisten bei den Medien der Dogan- bzw. der Uzan-Gruppe in ihrer täglichen Arbeit unterordnen. Der aktuelle Kampf begann, als die Uzans vor zwei Jahren neben ihren TV-Sendern noch das Boulevardblatt Star auf den Markt brachten. Dogan schaffte es, Star aus dem einzig vorhandenen landesweiten Vertriebssystem zu kippen, und zwang Uzan so, für sein Boulevardblatt ein eigenes, extrem teures Vertriebssystem aufzubauen. Seitdem feuert Star gegen die Dogan-Gruppe, wo immer sich eine Gelegenheit bietet.

Als Dogan jetzt gemeinsam mit Is-Bankasi, der größten Privatbank der Türkei, vom Staat die Tankstellenkette Petrol-Ofisi erwarb, enthüllte Star, dass Dogan den Deal mit faulen Krediten bezahlt habe. Hürriyet schoss zurück – mit einer Breitseite über den vermeintlichen Bankrott der Uzan-Gruppe, dubiose Mobilfunkgeschäfte und Ärger mit dem US-Konzern Motorola.

Was immer an diesen Geschichten stimmt, eines ist auf jeden Fall richtig: Es geht um gigantische Summen – und längst nicht mehr um Journalismus.

Das eigentliche Problem der türkischen Medien ist deshalb auch nicht mehr staatliche Zensur – die trifft vor allem die kleinen linken oder kurdisch-nationalistischen Nischenprodukte. Das Hauptproblem der „normalen“ türkischen Journalisten ist, das „ihre“ Zeitungen oder Sender nur noch Spielball anderer, größerer ökonomischer Interessen sind. Das musste selbst der angesehene Ali Kirca erfahren, als er sich bei seinem Sender Star-TV weigerte, den Kampf Uzan gegen Dogan in „uneingeschränkter Solidarität“ mitzumachen: Er hat jetzt bei seinem eigenen Sender Hausverbot.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen