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Die Körpersprache des Miteinanders

Akrobatik à la Down-under: Der im Schiller Theater gastierende „Cirkus Oz“ aus Australien bringt die Hierarchie zwischen staunend klatschendem Publikum einerseits und einsamen Manegenstars andererseits durcheinander

Weil ein Sitzplatz im Theater, ist er einmal eingenommen, ungern wieder verlassen wird, beginnt die Vorstellung von „Cirkus Oz“ nicht auf der Bühne, sondern im Zuschauerraum. „Come forward!“, rufen die ArtistInnen den Sitzenden zu und laufen durch die Reihen. Zum Platzwechsel zu bewegen erfordert einige Beharrlichkeit. Zirkus im Theater, das bedeutet bei „Cirkus Oz“ nicht nur einen Bruch mit Sehgewohnheiten, sondern auch eine Veränderung der Position der Zuschauer. Zunächst ganz physisch.

Was folgt, ist eine Serie von Transformationen, in der ein Szenario mit der Logik des Traums in ein anderes gleitet. Mal wird der Körper dabei Ornament, mal ist er Teil eines Bewegungsflusses. Posen des traditionellen Zirkus werden eingenommen, aber sogleich wieder aufgelöst. So hängt nach der Trapeznummer, deren Artistin nach jedem Springen, Hängen und Fallenlassen wieder ganz strahlende Grazie ist, der Pierrot im Seil. Die Violinistin stimmt eine traurige Weise an, und alles, was vorher leicht schien, ist jetzt von den Hinderungen des Körpers und der Schwerkraft durchzogen. Schließlich gleitet das traurige Wesen nach unten, wo bereits eine weiß gekleidete Braut wartet. Weil der Pierrot sie nicht ehelichen will, entschwebt die Braut nach oben und dreht sich in Posen des einsamen Glücks.

Seit „Cirkus Oz“ 1978 als Antwort auf das entweder britisch oder amerikanisch geprägte Sprechtheater in Australien gegründet wurde, arbeiten die ArtistInnen an dem, was heute „zeitgenössischer Zirkus“ heißt: an der Verbindung von verschiedenen Genres zu einer anderen Art von Show. Dabei werden die Elemente des traditionellen Zirkus – danger, glamour, humour, skill – ebenso dekonstruiert wie die Hierarchie zwischen der Menge der Beifallspendenden und den Stars. Für Mike Finch, seit vier Jahren künstlerischer Leiter des „Cirkus Oz“, liegt hier ein wesentliches Moment des australischen Zirkus: die Möglichkeit zum Experiment ohne „die Last der Geschichte“.

Mitunter verbindet sich bei Oz die sanfte Transformation des Realen mit dem Selbstzitat. „Ich bin in der Garderobe“, ruft gegen Ende der Show Tim Coldwell, einer der Gründer von „Cirkus Oz“. Und dann geht eine Tür auf, „Stars“ steht daran. Herein gelaufen kommt der Mann im gelb karierten Jackett und erzählt von der „guten alten Stange-Nummer“: Mit einer Stange sei er an die Decke geklettert und dann an der Decke herumgelaufen. „Aber das will ja heute keiner mehr sehen, die gute alte Stange-Nummer“, sagt er betrübt und gießt sich einen Drink ein, der nicht ins Glas fließen will. Denn Coldwell ist bereits down under, während im Hintergrund Frank Sinatra läuft: „I did it my way“.

Um Experimente mit Akrobatik geht es auch bei Carrie Hampel. Ihr Stück „Freelancer“, das zuletzt in der Staatsbank zu sehen war, schildert die Situation der Freiberuflichen, irgendwo zwischen Künstlertum und dem freien Fall am freien Arbeitsmarkt. Am Eingang hatte eine „Handysitterin“ den Zuschauern die Mobiltelefone abgenommen. Es ist das Klingeln des Handys von Hampel, das die Vorstellung beginnen lässt: „Ich kann jetzt nicht telefonieren, ich bin im Theater, in der Staatsbank . . .“ Und dann: „Klar kann ich gleich bei euch sein.“ Freelancer eben.

Die in Berlin lebende Australierin, die ebenfalls beim „Cirkus Oz“ gelernt hat, arbeitet auf möglichst unterschiedlichen Ebenen: akrobatisch und musikalisch sowie sprachlich. Zirkus ist für sie ein „magischer Bereich“: „Wenn man nur über den Kopf geht, dann hat man gar nichts geändert“, sagt Hampel. Akrobatik teile sich anders mit, direkter, stehe außerhalb des bereits Verhandelten. Vielleicht ist es deshalb auch konsequent, dass dort, wo Carrie Hampel gesprochene Sprache nutzt, der Jargon stämmiger Selbstvergewisserung vorherrscht – im Dialog mit dem potenziellen Arbeitgeber und in der Umarmung dessen, was einmal protestantische Ethik hieß.

Traumgleich wird es immer da, wo die Sprache endet, die DarstellerInnen neu definieren, was Körper miteinander tun können; wenn ein Körper von oben um einen anderen fällt wie ein Schloss; oder Ralf Kolossa und Claudia Schnürer sich im von der Staatsbankdecke herabfallenden Zirkustuch begegnen. Die magische Welt also hat keine Grenzen. Im Ideal reicht sie hinein in das, was das Reale heißt, und aus ihm wieder zurück. Im Programm von „Cirkus Oz“ heißt das: „Last night was different. Tomorrow will be different again.“ KATRIN KRUSE

Cirkus Oz, Bismarckstraße 110, bis 9.12. Mo.–Fr. 20 Uhr, Sa./So. 15 und 20 Uhr

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