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Die Kunst des Anrufers

Zwei Projekte beleben den Alexanderplatz. Die Gruppe „rude architecture“ projiziert im U-Bahnhof ein städtisches Tagebuch. Der Chaos Computer Club bringt das Haus des Lehrers zum blinken. Beide setzen auf den Eingriff des Betrachters per Handy

von HENNING KRAUDZUN

Wie von Geisterhand geschrieben, tickert eine Botschaft über die Projektionsfläche an der gelben Kachelwand. Die auf ihre U- Bahn unter dem Alexanderplatz wartenden Menschen schauen zuerst zweifelnd, dann desinteressiert und nach einigen Augenblicken sichtlich amüsiert auf das grün leuchtende Schriftfeld. „Polizei sucht eine Person, die hübsch, charmant, sexy und unglaublich gut im Bett ist“, steht dort geschrieben. Wenige Sekunden später bildet sich eine kleine Menschentraube. Zahlreiche Augenpaare überfliegen die visualisierte SMS-Nachricht. Während einige ein breites Grinsen aufsetzen, quittieren andere mit einem Kopfschütteln das Gelesene.

Dann donnert die U 2 über die Schienen und hält vor dem Bahnsteig. Die Projektion bricht ab. Die Wagen saugen die Menschenmassen auf. Als die Bahn wieder abfährt, leuchtet die nächste Botschaft auf, diesmal eine religiöse Warnung: „ACHTE nicht gering die Züchtigung des HERREN und verzage nicht, wenn du von ihm gestraft wirst.“

Friedrich von Borries, einer der Initiatoren des Kunstprojekts, kennt mittlerweile auch den Bibeltext: „Das war wieder der Jesusfreak, einer von unseren Stammschreibern“, sagt er und lacht. Mehrere Stunden am Tag lesen er und seine Mitstreiter von „rude-architecture“ am Computer hunderte Nachrichten, die nicht immer veröffentlicht werden dürfen.

Seine Architektengruppe sucht sich für ihre urbanen Dialoge verschiedene Aktionsräume. Im vergangenen Jahr haben sie Bushaltestellen mit Monitoren ausgerüstet und die Leute miteinander chatten oder sich gegenseitig beäugen lassen. Jetzt kann „rude architecture“ die U-2- Station Alexanderplatz hundert Tage für einen künstlerischen Eingriff nutzen.

Im Wettbewerb, den die Neue Gesellschaft für Bildende Kunst (NGBK) auslobte, mussten sie sich gegen 150 Projektanträge durchsetzen. Mit den „urban diarys“ wollen die experimentellen Architekten um von Borries eine Schnittstelle zwischen Intimität und Öffentlichkeit herstellen. Jeder kann an dem „städtischen Tagebuch“ mitschreiben, indem er per Handy einen Kurztext mit seinen Gedanken und Gefühlen an eine zentrale Telefonnummer schickt. Nach einigen Wochen soll ein Stimmungsbild von Berlin entstehen. Mittlerweile sind über 2.000 Einträge in knapp zwei Wochen zusammengekommen, die dann zumeist nach 24 Stunden projiziert werden. „Viele Menschen brauchen diese Form der Kommunikation, um etwas von sich preiszugeben“, sagt von Borries. Alles laufe nach dem Talkshow-Prinzip ab: Wenn ich erzähle, was mich bewegt, dann sollen viele zuschauen.

Ob es nun das Liebesleben, der Ärger auf Arbeit, einfache Frustrationen oder politisches Geplänkel ist – die Spannweite der Aussagen ist weit. Auch ein paar Tagebuchschreiber machen auf sich aufmerksam. So macht sich ein „Harry- Potter-Verspotter“ über den Zauberlehrling lustig, die „Rotfront Ost“ will den Abschiebeknast stoppen, „Baba“ klagt permanent über die Einsamkeit in Berlin und das Duo „Laubfrosch und Fickfrosch“ schickt sich gegenseitig Liebesbeweise.

Dieses Überlagern von Sichtweisen und intensiven Äußerungen passe einfach zum Ort, meint von Borries. „Der Alex könnte einer der schönsten Plätze sein, wenn er nicht absichtlich brachgelegt würde.“ Deshalb freue er sich auch über die Lichtinstallation, die der Chaos Computer Club am Haus des Lehrers veranstaltet. „Uns geht es um Inhalte, denen um eine ästhetische Aufwertung des Platzes, beiden aber um die gleichen Kommunikationsmittel“, erklärt von Borries.

Nur zwei Treppen über den „urban diarys“, wurde die Fassade des nahezu leer stehenden Hochhauses mit 144 Halogenstrahlern zu einem überdimensionalen Bildschirm umgestaltet. Auf einer Fläche von 40 mal 30 Metern laufen Bilder und Animationen ab, die nicht größer als 8 mal 18 Pixel sind. Jeder dieser Lichtpunkte entspricht einem Fenster, das von innen angestrahlt wird. Drei Computer steuern mit einer einfachen Textdatei als Matrix aus 0 und 1 die einzelnen Strahler an. „Und über Relais agieren die Fensterpixel in einem System, den blinkenlights“, erklärt Tim Pritlove vom Chaos Computer Club (CCC) den technischen Hintergrund.

Die wirren Kabelströme, die die acht Etagen miteinander vernetzen, sehen aus wie das handgemachte Chaos. Doch es funktioniert bislang problemlos. Simple Filmsequenzen oder Grafiken können abgespielt werden – alles in einer Ästhetik der ersten Computer. Vom pulsierenden Herzen bis zu Akronymen der Hackerszene ist alles dabei. „Möglich ist vieles, selbst 3-D-Rotationen, schleichende Katzen und die Enterprise“, erklärt Pritlove.

Wer auf dem Alex auf seine Straßenbahn wartet, kann sich interaktiv seine Zeit mit dem Riesenbildschirm vertreiben und gegen den Computer oder einen realen Akteur das Uralt-Game „Pong“ spielen. Steuergerät ist auch hier das Handy. Wenn man sich über 01 90-98 76 54 einwählt, schalteten die Computer sofort auf „Pong“ um. Gleichzeitig spenden die Spieler über 2 Mark pro Minute für die Kosten des Spektakels. „Ich habe gehört, man kann sogar im Landeanflug auf Tempelhof per Handy auf der Fassade spielen“, grinst Pritlove. Ausgereizt seien die Möglichkeiten noch lange nicht.

„Das alles verdeutlicht auch den Kern des CCC“, sagt Pritlove. „Es geht um einen kreativen Umgang mit Technologie.“ Man versuche das Projekt der blinkenlights in den nächsten Wochen auch ständig in Bewegung zu halten, mit einer pixeligen Weihnachtsgeschichte und dem besonderen Countdown zu Silvester. „Und der Wettbewerb um die besten Grafiken hat ja gerade erst begonnen“, betont der passionierte Hacker. Denn unter dem Slogan „art and beauty with a computer“ schickten bis jetzt 300 Pixelkünstler ihre Entwürfe an den CCC. Derzeit könne man sich dazu unter www.blinkenlights.de ein kleines Programm herunterladen und eigene Animationen per Mausklick zusammenstellen, so Pritlove. Momentan gehen dazu täglich neue Beiträge in seiner Mailbox ein.

Eines haben die blinkenlights mit Sicherheit schon erreicht: das Bild vom CCC als verschworene Gemeinschaft bösartiger Hacker wurde in der Öffentlichkeit aufgeweicht. Jener spielerische Umgang mit der Technik begeistert vor allem nachwachsende Computerprofis.

Ein Idol muss auch Pritlove sein, der in Hackermanier über eine Tastenfolge auf dem Handy die Grafiken auf der Fassade sekundenschnell ändern kann. Und in atemberaubender Geschwindigkeit herumprogrammiert, alles wie im Schlaf. Für ihn bot sich das Haus des Lehrers wie kein anderes Gebäude an: „Nicht nur, dass es leer und inmitten der östlichen City steht, sondern die Umgebung hat Charme“, sagt Pritlove. Diese Mitte drohe jetzt unterzugehen. „Aber das ist unser Beitrag für den Alex.“

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