Karibik lockt Rechtsanwälte

Nach den Anschlägen vom 11. September zieht es Steuerberater und Anwälte verstärkt ins Ausland. Die härtere Verfolgung der Geldwäsche in Europa erschwere ihre Arbeit, beklagen die Juristen

von HANNES KOCH

Der Jurist Volkmar Wiburg lebt nicht mehr gern in Deutschland. Zu viele Regelungen, zu viele Gesetze. Er fühlt sich eingeschränkt. Außerdem herrschen an seinem neuen Wohnort in der Dominikanischen Republik angenehmere Temperaturen. „Es ist kühl hier, 24 Grad“, berichtet der 51-jährige aus seinem karibischen Domizil, während in der Heimat der Novemberhimmel dräut.

Doch nicht nur wegen der zuträglichen Lebensumstände ist Wiburg übergesiedelt auf die Ferieninsel. Er arbeitet dort als Statthalter einer Gruppe deutscher Steuerberater und Rechtsanwälte, die, für ihren Stand eher unüblich, anonym bleiben wollen. Wiburgs Internetseite gibt Auskunft über die geheimnisvolle Tätigkeit. Unter der Adresse www.internetkanzlei.to finden diejenigen Trost, die ihr Geld vor der Steuer retten wollen.

Das Angebot der Internetkanzlei umfasst „Notmaßnahmen gegen ruinöse Finanzamtsforderungen, Einrichtung ausländischer Konten, Steuersparmodelle, Nutzung sogenannter Steueroasen“ und Ähnliches. Aktivitäten wie diese erfahren zur Zeit einen ungeahnten Aufschwung. Dies hat einerseits zu tun mit dem Interesse von Besserverdienenden, ihre Rendite zu erhöhen, indem sie ihr Geld auf den internationalen Finanzmärkten vor den deutschen Finanzämtern retten. Andererseits beziehen sich Jurist Wiburg und seine Kollegen – 9 deutsche Rechtsanwälte und 17 Steuerberater – auf Gesetzesänderungen in Europa, die auf scharfe Kritik vieler Anwälte und ihrer Organisationen stoßen.

Seit den Anschlägen auf das World Trade Center vom 11. September sind die europäischen Regierungen dabei, die Regelungen gegen den Straftatbestand der Geldwäsche zu verschärfen. Das soll internationalen Terrororganisationen erschweren, illegal erworbenes Vermögen in den legalen Geldkreislauf zurückzupumpen.

In Deutschland will die Regierung nun das Angenehme mit dem Nützlichen verbinden. Es wird diskutiert, schwere Steuerhinterziehung als Vortatbestand der Geldwäsche einzustufen. Wer planmäßig größere Summen dem Finanzamt vorenthält, würde sich also der Geldwäsche schuldig machen.

Das betrifft auch die Tätigkeit von Rechtsanwälten in Deutschland. Denn bereits im Sommer hat der Bundesgerichtshof entschieden, dass Anwälte, die Honorare aus Geldwäsche akzeptieren, sich unter bestimmten Umständen selbst dieser Straftat schuldig machen. Hier hakt nun die Tätigkeit der Internetkanzlei ein. Jurist Wiburg argumentiert, dass seine Arbeit als Anwalt in Deutschland extrem erschwert würde. Deshalb habe er die Konsequenzen gezogen und sich im Ausland niedergelassen.

Wie, so fragt der ehemalige deutsche Rechtsanwalt, solle er Mandanten betreuen, die der Steuerhinterziehung verdächtigt würden? Die Wahrscheinlichkeit sei groß, dass er sich selbst der Strafverfolgung aussetze. Auch Rechtsanwaltsorganisationen argumentieren in diese Richtung. Wer der Steuerhinterziehung beschuldigt werde, könne kaum noch einen Anwalt finden, denn der müsse Angst haben, sich von dem Verdächtigten bezahlen zu lassen.

Hinzu kommt die europäische Geldwäsche-Richtlinie, die unlängst grundsätzlich verabschiedet wurde. Diese sieht vor, dass Anwälte den Strafverfolgungsbehörden melden müssen, wenn sie während der Beratung eines Mandaten von dessen Geldwäsche-Aktivitäten erfahren haben. Außerdem sollen die Juristen melden, wenn sie im Auftrag eines Mandanten Immobilien oder Betriebe erwerben oder veräußern und dabei illegal erworbenes Geld im Spiele ist. Ebenso verhält es sich bei der Gründung von Treuhandgesellschaften im Auftrag eines Dritten.

Diesen Paragrafen entziehen sich Volkmar Wiburg und seine Kollegen. Keine Rolle spielt es für ihn, dass die Gefährdung der anwaltlichen Tätigkeit in Deutschland eine eher unwahrscheinliche Möglichkeit ist. Die Ermittler müssten schließlich detailliert nachweisen, dass und was der Anwalt über die illegale Herkunft des Geldes seines Mandaten wusste – was im Einzelfall schwierig bis unmöglich sein dürfte. Zwar kritisiert auch die Bundesrechtsanwaltskammer die Ausgestaltung der europäischen Geldwäsche-Richtlinie, doch Heike Lörcher, Vertreterin der Kammer in Brüssel, sagt: „Das bedeutet nicht, dass Anwälte Deutschland verlassen müssten.“

Das Phänomen der Anwaltsflucht in die Karibik könnte sich auch so darstellen: Die neuen Regularien stellen weniger für die Anwälte und Steuerberater ein gravierendes Problem dar, sondern für die Mandaten, die nach wie vor ihr Geld an der Steuer vorbeischleusen wollen. Denn gerade mit der Einordnung der Steuerhinterziehung in den Tatbestand der Geldwäsche zeigt der Staat, dass er an diesem Punkt nicht mit sich spaßen lassen will.