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Lesen ja, aber nicht verstehen

Im weltweiten Vergleich landen deutsche Schüler auf Platz 25 von 32. Bildungspolitische Konsequenzen wird dieses Ergebnis kaum haben

von CHRISTIAN FÜLLER

Mathe ging ja noch. Als vor zwei Jahren bekannt wurde, wie schlecht deutsche Schüler bei Mathematik im internationalen Vergleich abschneiden, war das zwar ein Schreck für die Nation, aber ein verhaltener. Wer ist schon gut in Mathe? Jetzt aber trifft ein weiterer Test ins Herz des Bildungsbürgers: Deutsche Schüler können schlecht lesen! Schlechter jedenfalls als die Pennäler anderer Länder, so das Ergebnis des weltweit größten Schülerleistungstests „Pisa“ (Programme for International Student Assessment).

Ein sattes Fünftel der Getesteten aus dem Lande von Geheimrat Goethe und Thomas Mann weiß bei Geschriebenem oft nicht: Was soll es bedeuten? Auf einer Rangliste von Lesekompetenz und -verständnis in 32 OECD-Ländern landen die deutschen Kids auf Platz 25.

Nun geschieht das Erwartbare: In Deutschland brennen alle Sicherungen durch. Schon bevor die OECD morgen weltweit die genauen Ergebnisse ihres repräsentativen Lesetests von 200.000 Schülern bekannt gibt, sind die Deutschen völlig aus dem Häuschen. „Nirgendwo ist es so schlimm wie in Deutschland“, stöhnt der Pressechef der OECD, Nicholas Bray. Die ganze Welt gedulde sich, bis die Schülerleistungen auf dem Tisch liegen – nur die Deutschen können nicht warten.

Wie zur Bestätigung Brays rattern schon seit Samstag Interpretationen und Kommentare über die Nachrichtenticker. Die meisten in Unkenntnis der Studie. „Ein Drama für den Bildungsstandort“, weiß etwa die Vorsitzende des Bildungsauschusses, Ulrike Flach (FDP) zu berichten: „Jetzt muss das ganze Schulsystem auf den Prüfstand.“

Aber gemach! Die Ergebnisse des Tests mögen noch so drastisch sein – im Dauerclinch zwischen konservativer und sozialdemokratischer Bildungspolitik, im Kompetenzwirrwarr zwischen Bund, Ländern und den die Schule tragenden Gemeinden wird sich so schnell nichts ändern. Das deutsche Bildungswesen ist praktisch nicht reformierbar (siehe Text rechts).

Dabei besteht aller Grund zur Sorge. Als man bei der Kultusministerkonferenz in Bonn die Vorberichte der OECD durchblätterte, müssen einige blass geworden sein. Die deutschen Kids bekommen richtig schlechte Noten: Im Leseverständnis rangieren sie auf Platz 20 von 32 Ländern, selbst die hoch gelobten Gymnasiasten schneiden in dem Vergleich nur mittelmäßig ab.

Das eigentlich Dramatische an den Resultaten der Schulforscher aber ist der Zusammenhang von Wissen und sozialer Herkunft. Die deutsche Schule schafft es nicht, die aus dem Bildungshintergrund der Familien mitgebrachten Ungleichheiten zu mildern. Im Gegenteil, sie werden durch die Auslese der Schüler in verschiedene Schulformen noch verstärkt: Jugendliche aus bildungsschwachen deutschen Elternhäusern und Kinder von Zuwanderern verfehlen minimale Lesekompetenzen.

Das Problem für die Kaste der deutschen Bildungsexperten ist, dass sich diesmal die Ergebnisse nicht wegdiskutieren lassen. Als der Mathe-Leistungstests „Third International Math and Science Study“ 1997 die deutschen Kids auf die hinteren Ränge verwies, entbrannte sofort Streit. Äpfel seien nicht mit Birnen zu vergleichen, deutsche Schulformen und Lernbedingungen weltweit gar nicht vergleichbar. Diesmal zieht die Ausrede nicht. Die Deutschen haben die größte Stichprobe: 57.000 von 200.000 weltweit befragten Schülern sind von hier.

Trotzdem steht zu befürchten, dass auch diesmal, abgesehen von hysterischen Diskussionen, keine Konsequenzen gezogen werden. Es wird, trotz des Ausgabenrückstandes der Deutschen, nicht mehr Geld für die Schulen geben. Das hat der sächsische Kultusminister Matthias Rößler (CDU) umgehend verkündet. Und es wird auch inhaltlich kein konzertiertes Vorgehen der Kultusminister geben.

Dabei gibt es eine Blaupause für die wichtigsten Bildungsreformen, das „Forum Bildung“. Das Expertengremium hat dieser Tage zwölf Punkte vorgelegt, was Lehren und Lernen hierzulande gut täte. Die Vorschläge scheinen wie gemacht, den durch Pisa erkannten Defiziten zu begegnen: Schon Kindergärten sollen mehr Freude am Lernen vermitteln. An deutschen Schulen muss eine andere Lernkultur einziehen: mehr Problemlösen statt frontalem Eintrichtern. Und: Bildungseinrichtungen müssen endlich ihre hohen Abbrecherzahlen loswerden.

Die Vorschläge sind ein schönes Beispiel für die Blockade im deutschen Bildungswesen. Als der Masterplan gegen die Schwächen des Bildungswesens vom Kindergarten bis zur Universität veröffentlicht wurde, hieß es am Mittwoch noch: „Nie war die Einigkeit so groß.“ Dann begannen die beiden Vorsitzenden des Forums, die zwei Jahre lang schiedlich-friedlich zusammengearbeitet hatten, sich in alter Klassenkeile zu üben. Bayerns Kultuschef Hans Zehetmair (CSU) stellte klar, dass das Forum „keine gesetzgeberische Kompetenz“ habe. Bildungsministerin Bulmahn glaube aus dem Forum Bildung eine Legitimation zweiter Hand für Bildungsreformen durch den Bund ableiten zu können. Das, so meinte Zehetmair spitz, „ist der Fehler der Bundesministerin.“

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