: Schulstudie macht Minister nervös
Bayerns Schulministerin Hohlmeier fordert nach internationalem Schulleistungstest Sofortprogramm für leseschwache deutsche Schüler. Nordrhein-Westfalens CDU will, dass erst mal Köpfe rollen: „Bildungsministerin Behler muss weg“
aus Berlin CHRISTIAN FÜLLER
Die bayerische Schulministerin Monika Hohlmeier (CSU) will Konsequenzen aus dem schlechten Abschneiden deutscher Schüler bei der OECD-Schulleistungsstudie „Pisa“ ziehen. Hohlmeier wird der Kultusministerkonferenz morgen in Bonn vier Punkte vorschlagen. Danach sollen bereits in der Vorschule die Sprachkompetenzen der Kinder gestärkt, die Unterrichtsqualität verbessert, Zuwanderer gezielt gefördert und die Zahl der Ganztagsschulen erhöht werden. „Ich will, dass die Länder sich jetzt mit Pisa auseinandersetzen“, sagte Hohlmeier der taz.
Damit ist sie die erste Kultusministerin, die energisch auf die durch Pisa aufgedeckten Lese- und Verständnisschwächen deutscher Schüler reagiert. Ihre Kollegen hatten am Wochenende noch auf Abwarten plädiert. Hohlmeier, deren Kinder eine Privatschule besuchen, forderte eine Ende „des parteipolitischen Taktierens“.
Der in 32 Ländern durchgeführte vergleichende Bildungstest Pisa hatte ergeben, dass hierzulande ein Fünftel der Neuntklässler nicht richtig lesen können. Bei Kindern aus bildungsfernen Schichten kämpft fast die Hälfte mit der deutsche Sprache, bei Zuwanderern ist der Anteil noch höher. Die Detailergebnisse der Studie werden heute bekannt gegeben.
Die Pisa-Studie, die bis 2006 in drei Teiluntersuchungen die Leistungsfähigkeit 15-jähriger Schüler rund um den Globus testet, hat deutsche Bildungsexperten wie Lobbyisten gehörig erschreckt. Vom Industrie- und Handelstag bis zu den Gewerkschaften wird von einer „neuen Bildungskatastrophe“ gesprochen. Die GEW-Chefin Eva-Maria Stange sagte, Pisa sei ein „miserables Zeugnis für ein überholtes Schulsystem“. Der Philologenverband warnte sogleich vor einseitigen Schuldzuweisungen an die Lehrer.
Nordrhein-Westfalens Oppositionschef Jürgen Rüttgers (CDU) nahm Pisa zum Anlass, die Bildungsministerin des bevölkerungsreichsten Bundeslands, Gaby Behler (SPD), zum Rücktritt aufzufordern. „Behler muss weg“, sagte Rüttgers, weil Rot-Grün die Schulen vernachlässigt habe. Die Angegriffene lobte den ehemaligen Bundesbildungsminister Rüttgers für seine „intellektuelle Schärfe“, den Rücktritt einer Landesministerin wegen einer Studie zu fordern, die bislang nur Aussagen über das Bundesgebiet mache. Im Herbst 2002 muss freilich auch Behler Farbe bekennen: Dann werden die Pisa-Ergebnisse für die einzelnen Bundesländer veröffentlicht.
kommentar SEITE 12
Eine Koalition, die was bewegt: taz.de und ihre Leser:innen
Unsere Community ermöglicht den freien Zugang für alle. Dies unterscheidet uns von anderen Nachrichtenseiten. Wir begreifen Journalismus nicht nur als Produkt, sondern auch als öffentliches Gut. Unsere Artikel sollen möglichst vielen Menschen zugutekommen. Mit unserer Berichterstattung versuchen wir das zu tun, was wir können: guten, engagierten Journalismus. Alle Schwerpunkte, Berichte und Hintergründe stellen wir dabei frei zur Verfügung, ohne Paywall. Gerade jetzt müssen Einordnungen und Informationen allen zugänglich sein. Was uns noch unterscheidet: Unsere Leser:innen. Sie müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 50.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Es wäre ein schönes Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen