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Bayerische Wechsel

In München verliert Rot-Grün durch den Austritt einer Kriegsgegnerin die Mehrheit. Zersplitterte Konkurrenz

MÜNCHEN taz ■ Fast zwölf Jahre dauert die rot-grüne Koalition im Münchner Stadtrat schon.

Das ist deutscher Rekord. Doch gestern verloren SPD und Grüne wegen des Afghanistan-Kriegs und Personalquerelen ihre Ein-Stimmen-Mehrheit im Rathaus. Die Stadträtin Judith Schmalzl trat aus der grünen Fraktion aus. Bei einer Mitgliederversammlung hatte sie sich kürzlich vergeblich um drei aussichtsreiche Listenplätze für die Kommunalwahl am 3. März beworben. Nun geht die Exgrüne als Spitzenkandidatin der neuen Wählergruppe „Soziale, ökologische, friedliche, integrative Liste“ (Sofi) ins Rennen.

Friedensaktivisten, Globalisierungsgegner und Menschenrechtler gründeten „Sofi“ am vergangenen Sonntag in München. In einem Manifest rechnet die Gruppe mit der Bundesregierung ab, weil sie „den Einfluss des Militärs, der Industrie, der Arbeitgeber und der Geheimdienste gestärkt“ habe. Zu den bisher 28 Stadtratskandidaten der Liste gehört auch der zweimalige Bundestagskandidat Martin Ottensmann, der wie ein weiterer Bewerber noch Grünen-Mitglied ist. Die Münchner Parteispitze denkt bereits über ein Ausschlussverfahren für beide nach.

Aber auch für die PDS wird „Sofi“ heikel. Obwohl die Sozialisten erstmals an der Stadtratswahl teilnehmen, kandidiert ihre Landesvorstandsfrau Petra Finsterle als „Sofi“-Sprecherin gemeinsam mit einer Hand voll anderer Mitglieder bei der Konkurrenz. Zuvor hatte sich die PDS gegen eine offene Liste entschieden.

Auch die frühere Münchner Bürgermeisterin Sabine Csampai war aus Protest gegen den Afghanistan-Krieg bei den Grünen ausgetreten, blieb aber in der Fraktion. Die Fraktionschefs von SPD und Grünen, Helmut Schmid und Siegfried Benker, blieben trotz des Verlusts Schmalzls optimistisch, dass rot-grüne Projekte nicht gefährdet würden. Zwei Stadträte der Split-terparteien ÖDP und „David contra Goliath“ stimmten fast immer mit Rot-Grün, und wichtige Beschlüsse stünden im Wahlkampf nicht mehr an. Schmid lobt an der Koalition vor allem, dass man sich auf die Zusammenarbeit sehr verlassen könne. Die Grünen sind besonders stolz auf die Gründung des Flüchtlingsamts, das eine gute Betreuung von Asylbewerbern garantiere, und die weltgrößte Solar-Dachanlage der neuen Messe München. Fraktionschef Benker monierte, „Sofi“ wolle „im Stadtrat anscheinend bundespolitische Themen bearbeiten“. Er forderte Schmalzl auf, ihr Mandat an die Grünen zurückzugeben: „Oder will sie ihr Mandat einer Partei verdanken, die sie aus tiefstem Herzen ablehnt?“ Seit dem Bundestagsbeschluss für den Bundeswehreinsatz gab es bei den bayerischen Grünen 60 Austritte und 27 Eintritte. Die Mitgliederzahl ging damit um 0,5 Prozent nach unten, wie Parteisprecher Alex Burger erklärt: „Das ist weniger als beim Kosovo-Krieg.“ OLIVER HINZ

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