: „US-Amerikaner sehen sich nicht gern als blutrünstig“
William Schulz, Generalsekretär von amnesty international USA, über Bürgerrechte im Anti-Terror-Krieg: Verbündete sollen auf USA einwirken
taz: Sind Sie eigentlich in den letzten Wochen jemals von einer amerikanischen Regierungsbehörde um Ihre Meinung gebeten worden?
Schulz: Die Initiative kam nie von der Regierung. Aber wenn wir um ein Gespräch gebeten haben, haben sie sich auch mit uns zusammengesetzt.
Und was haben Sie dann gesagt?
Dass eine Reihe von Entscheidungen und Vorschlägen der Regierung für den Schutz der Menschenrechte in den Vereinigten Staaten sehr gefährlich sind: Die Verhaftung mehrerer Hundert Personen ohne jede Anklage, die Entscheidung des Präsidenten, den Geheimdiensten wieder Morde zu erlauben, Bushs Anordnung, Militärgerichte ohne die rechtlichen Schutzmechanismen einzurichten, wie sie internationales Recht erfordert, und der Vorschlag aus dem FBI, Verdächtige zu foltern, die keine Aussage machen wollen, oder sie in Länder zu überstellen, wo sie gefoltert werden können.
Viele US-Amerikaner haben Angst und begrüßen den harten Kampf gegen Terroristen – können Sie da eigentlich auf Menschenrechte pochen, ohne als Verräter angesehen zu werden?
Amnesty muss seine Sorgen richtig ausdrücken und in einen größeren Zusammenhang stellen. Amnesty hat klar gefordert, dass die Verantwortlichen vor Gericht gestellt werden müssen – vor ordentliche Gerichte allerdings, die internationalen Menschenrechtsstandards standhalten.
Und der Krieg, ist der gerechtfertigt?
Wir waren nie per se gegen Militäreinsätze – wir sind keine pazifistische Organisation. Aber der beste Schutz vor Anschlägen ist die Beachtung von Menschenrechten in jeder Hinsicht. Dafür gibt es nicht nur moralische und rechtliche Argumente, sondern ganz praktische: Wir wissen, dass die internationale Anti-Terror-Koalition sehr wackelig ist. Wenn die USA als Verletzer der Menschenrechte angesehen werden, gefährdet das das Ziel, die Koalition zusammenzuhalten.
Haben die Berichte über das mutmaßliche Massaker von Masar-i Scharif die US-Öffentlichkeit beeindruckt?
Wir wissen noch nicht, was da nun tatsächlich passiert ist. Amnesty hat eine umfassende Untersuchung gefordert. Wenn es sich wirklich als Exekution wehrloser Gefangener erweist, dann wird das die Meinung der US-Öffentlichkeit beeinflussen.
Also sind Menschenrechte doch ein Kriterium der öffentlichen Diskussion?
Sicher ist die US-amerikanische Öffentlichkeit in dieser Situation nicht besonders sensibel im Umgang mit Menschenrechtskriterien. Andererseits sehen sich US-Amerikaner nicht gern als blutrünstig. Wenn es also wie ein Töten wehrloser Menschen aussieht, dann wird das viele beunruhigen.
Fordert amnesty denn von der US-Regierung, die Unterstützung der Nordallianz aufzugeben?
Amnesty kommentiert keine politischen Allianzen. Aber ai hat schon lange vor dem Vorstoß der Nordallianz daran erinnert, dass die Nordallianz für eine lange Liste von brutalen Menschenrechtsverletzungen verantwortlich ist.
Zurück in die USA: Haben Sie nähere Informationen darüber, wie es den Inhaftierten geht, wie die Verhöre durchgeführt werden?
Da geht das Problem schon los: Wir haben diese Informationen nicht. Die Regierung hat nicht einmal die Zahl der Verhafteten veröffentlicht, geschweige denn die Anklagen oder die Verdachtsmomente gegen sie. Wir wissen auch nichts über die Haftbedingungen. Wir wissen nur sicher, dass ihnen in vielen Fällen nicht einmal gesagt wurde, wessen sie verdächtigt oder angeklagt werden.
Glauben Sie, dass an den Gerüchten über frustrierte FBI-Ermittler, die Gefangene foltern wollen, wirklich etwas Wahres dran ist?
Ich hoffe nicht. 60 Prozent der US-Amerikaner sagen, dass sie gegen die Folter sind. Ich hoffe, dass das FBI genügend negative Reaktionen bekommen hat, nachdem die Vorschläge in der Presse ausgebreitet wurden, dass sie zögern werden, solche Vorschläge tatsächlich umzusetzen.
Aber wären die Behörden nicht ohnehin in der Lage, so etwas zu vertuschen?
Das ist natürlich immer die Sorge. Und wie gesagt, wir haben sehr wenig Informationen über die Verhafteten.
Sie haben die Militärgerichte erwähnt. Dagegen gab es große Proteste. Haben sie eigentlich Erfolg?
Der Kongress will Anhörungen über Bushs Anordnung durchführen – das ist ein positives Signal. Sogar einige sehr konservative Kommentatoren – besonders William Safire in der New York Times – haben sich gegen Militärgerichte ausgesprochen ...
Aber Safire schlug dann auch noch vor, die Verdächtigen gleich vom Erdboden zu bomben ...
Stimmt. Aber das mindert nicht seine Kritik an der Einschränkung von Rechten.
Schon in der Vergangenheit gab es über viele Menschenrechtsfragen – von der Todesstrafe bis zum Internationalen Strafgerichtshof – Streit zwischen Europa und den USA. Geht das jetzt in der Allianz unter?
Ich habe der deutschen Regierung bei einem Treffen gesagt, dass jetzt ein Punkt erreicht ist, an dem die Verbündeten gegenüber der US-Regierung mehr erreichen können als je zuvor. Die US-Regierung sorgt sich sehr um den Zusammenhalt der internationalen Koalition – und das ist der Punkt, an dem die deutsche und andere europäische Regierungen einhaken und darauf bestehen können, dass die US-Regierung auf die Beachtung der Menschenrechte achtet.
INTERVIEW: BERND PICKERT
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