Kurzer Marsch von Marzahn an die Macht

Der 28-jährige Stefan Liebich führt für die PDS die Koalitionsverhandlungen über ein rot-rotes Bündnis in Berlin

Es dauerte keine drei Tage, bis er ranmusste. Nicht einmal 72 Stunden nachdem Stefan Liebich am Samstag zum neuen Landesvorsitzenden der Berliner PDS gewählt worden war, leitete der erst 28-Jährige plötzlich die Verhandlungen über einen historischen Durchbruch für die PDS: ein rot-rotes Bündnis in der Hauptstadt.

Kein Wunder, dass dem frisch gebackenen Landeschef die Zufriedenheit sichtlich vom Gesicht abzulesen war, als ihm der Regierende Bürgermeister Klaus Wowereit (SPD) am Mittwoch in aller Öffentlichkeit bestätigte, dass man mit der PDS „auf gleicher Augenhöhe“ verhandeln wolle. Da saß der Diplombetriebswirt nach den ersten Sondierungsgesprächen im Roten Rathaus schon in einer Reihe mit den mächtigen Spitzenpolitikern der SPD. Es war Liebich, der an diesem Morgen die Bilanz der Gespräche aus der Sicht der PDS bekannt gab, während sich selbst PDS-Spitzenkandidat Gregor Gysi auf Zwischenbemerkungen beschränkte.

Dass die Ampelkoalition aus SPD, Grünen und FDP nicht einmal das Licht der Welt erblicken würde, daran hatte Liebich bis zuletzt nicht geglaubt: Noch am Wochenende hatte der ehemalige FDJ-Sekretär, der kurz nach der Wende an seinem 18. Geburtstag der PDS beigetreten ist, seine Genossen auf einen entschiedenen Oppositionskurs gegen die Ampel eingeschworen.

Nun trägt Liebich auf einmal viel mehr Verantwortung für die Zukunft der PDS, als sie einem Landesvorsitzenden gewöhnlich zukommt. Eine Partei, die in der Hauptstadt an der Macht ist, wird von der SPD auch im Rest der Republik schnell als Koalitionspartner akzeptiert werden. Mit dem Scheitern der Verhandlungen über eine Ampel ist für die PDS der Abschied von einer mehr als zehnjährigen Ausgrenzung aus dem Parteiensystem in greifbare Nähe gerückt.

Stefan Liebich weiß um die Dimension dieser Ereignisse. Seit seinem erstmaligen Einzug ins Berliner Abgeordnetenhaus im Jahr 1995 hat er sich als Pragmatiker erwiesen, der lieber über Details der Finanz- und Wirtschaftspolitik als über weltanschauliche Kontroversen sprechen wollte. Auch in der SPD wird er aus genau diesem Grund als der richtige Mann an der richtigen Stelle angesehen. Selbst in CDU-Kreisen betrachtet man seine Wahl als Zeichen der Erneuerung der PDS, die eine Auseinandersetzung in Sachfragen erleichtern werde.

In der PDS gilt Liebich als unkompliziert, zuverlässig und geradlinig. Zusätzlich gestärkt wird die Position des gebürtigen Wismarers, der im Ostberliner Bezirk Marzahn aufgewachsen ist, durch die Tatsache, dass er keiner Strömung zugerechnet wird: Liebich ist als jemand bekannt, der in der Sache entscheidet.

Die schwerste Mission steht ihm allerdings noch bevor. Im Fall einer Regierungsbeteiligung wird auch die PDS angesichts der leeren Kassen des Landes Berlin um harte Einschnitte im Sozialbereich nicht herumkommen. Zwar betont die Spitze der PDS immer wieder, dass sozial gerecht gespart werden müsse, um die Zukunftschancen der nächsten Generation nicht zu schmälern. Doch der Versuch, soziale Gerechtigkeit durch soziale Grausamkeiten herzustellen, wird in der Partei mit Sicherheit nicht überall auf Verständnis stoßen. Die Herkulesaufgabe von Stefan Liebich wird darin bestehen, seine Partei in diesen turbulenten Zeiten zusammenzuhalten. ANDREAS SPANNBAUER