: Euter im Tiefflug
Große Fragen der Menschheit: Wie kam der Kuhfladen aufs Dach?
Seit Jahrhunderten beschäftigt die Menschen eine Frage: „Wie kam der Kuhfladen aufs Dach?“ Dass diese Frage einen haustierhistorischen Hintergrund hat, konnte erst in jüngster Zeit durch intensive Forschung geklärt werden. Die bis dahin favorisierte Kuhschwanzschleudertheorie musste verneint werden, denn Experimente im Bundestechnischen Prüfungsamt in Braunschweig ergaben, dass höchstens bei einem Flachdachbungalow Partikel ankamen. Bei einem mehrstöckigen Haus misslang der Versuch völlig. Trotzdem fanden Dachdecker bei Reparaturen an mehrstöckigen mittelalterlichen Bauten Reste historischen Kuhdungs zwischen den Ziegeln. Dieser Fund lässt nur einen Schluss zu: Es gab fliegende Kühe!
Um es genauer zu erklären, muss rinderzoologisch etwas ausgeholt werden. Während wir heutzutage nur noch rotbunte, schwarzbunte, bleiche französische Chevroletrinder kennen, gab es bis vor hundert Jahren im Alpenraum mehr als hundert Rinderrassen, von denen heute nur die schwarze walliserische Kampfkuh und das Tegernseer Rind übrig geblieben sind. Die Rinderzucht in den Bergen konzentrierte sich besonders auf schwindelfreie und trittsichere Kühe, die steile Almen beweiden konnten, wobei auch sehr darauf geachtet wurde, dass das Euter der Tiere schalldicht war, denn bekanntlich wird, wenn es donnert, die Milch sauer.
Eine besondere Rasse war das Steilwandrind aus dem Alpgau, dem heutigen Allgäu, das selbst auf steilsten Matten zu Hause war, aber unter entsetzlichen Verlusten. Mit Tränen in den Augen musste nur allzu oft der Senn, wie der Alphirte dort genannt wird, zusehen, wie eine Kuh mit einem klagenden „Muh!“ aus der Steilwand fiel und in eine Felsspalte oder Schlucht stürzte, um dort jämmerlich zu verenden.
Abhilfe brachte hier das ausgangs des 12. Jahrhunderts im westlichen Tirol gezüchtete Flugrind. Als Wiederkäuer hat das Rind bekanntlich etliche Mägen. Dieses Rind konnte nun nach dem Fressen weniger würziger Alpenkräuter Verdauungsgase entwickeln, die es mächtig aufblähten und mit Hilfe des Flugmagens zum Schweben brachte. Jetzt musste man nur noch der Kuh den bekannten Tiroler Strick umbinden, sie wie einen Luftballon steigen lassen, und die Kuh konnte die steilsten Almen beweiden, ohne abzustürzen.
Die Tiroler sind lustig. / Die Tiroler sind froh. / Sie verkaufen ihr klein Häuschen / und schlafen auf Stroh – so ein altes Volkslied, aus dem leicht zu erkennen ist, dass die Tiroler sehr arm waren. Deswegen konnten sie sich auch keine Kirchtürme leisten. Der Pfarrer erhielt von der Gemeinde eine so genannte Angeluskuh, die mit einer Glocke um den Hals am schon erwähnten Tiroler Strick über der Kirche schwebte. Kam nun die Zeit des Mittagläutens, zog der Pfarrer an dem Strick, die Kuh nickelte am Himmel und frommes Läuten klang durchs Tal.
Die fliegenden Kühe sind heute verschwunden. Die Almen wurden zu erodierten Skipisten. Die Häuser werden nicht mehr verkauft, sondern sind Ferienwohnungen, aber im gesamten Alpenraum ist es noch heute üblich, den Kühen eine Glocke umzuhängen.
Die Geschichte dieser seltenen Rinderrasse hätte friedlich so weitergehen können, wenn das Militär die Flugkuh nicht als Waffe erkannt hätte. Flugkuhgeschwader, die man über belagerte Städte trieb, richteten große Schäden an den damals noch üblichen flachen Dächern an. „Jemanden zusammenscheißen“ nannte man diese Kriegstechnik. Die Flugkühe gibt es nicht mehr, aber nicht nur in Militärkreisen ist dieser Ausdruck bis heute unvergessen.
Den Architekten gelang es sehr bald, sich gegen die Waffen der Flugkuh zu wehren. Sie bauten die Häuser mit steilen Dächern. Das führte zu wirkungslosen „Abprallern“, und noch heute zeichnet sich ein mittelalterliches Stadtbild durch steile Dächer aus.
Weitreichende Feuerwaffen machten der Flugkuh bald den Garaus. Die letzten dieser an sich friedlichen Tiere setzte man im Anfang des Dreißigjährigen Krieges als Sperrballons ein, wo sie ausnahmslos umkamen. Damit endet die Geschichte dieser einmaligen Rinderrasse, bei der es halt eben zu Kuhfladen auf dem Dach kam.
Dass allerdings Bauern aus dem Ötztal nach dem Genuss von einem Liter Brennspiritus auch fliegen können, ist bewiesen, aber eine völlig andere Geschichte. HANS W. FRIEDRICH
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