Grünes Europa

Plädoyer für Staatenkammer. Dissens mit Joschka Fischer

BERLIN taz ■ Schon in einer Woche wird auf dem EU-Gipfel von Laeken ein Gremium eingesetzt, das ein Jahr lang über die Demokratisierung Europas beraten soll. Gerde noch rechtzeitig zu diesem Termin hat der grüne Bundestagsabgeordnete Christian Sterzing gestern ein 15-seitiges Papier „Eine grüne Vision für ein integriertes Europa“ präsentiert.

Nun kann man all die Positionspapiere zur Zukunft der EU zwar kaum mehr überblicken, die grünen Vorschläge zeichnen sich jedoch in zwei Bereichen aus. Zum einen ist es eine europäische Vision: nicht nur grüne Abgeordnete aus EU-Ländern, sondern auch aus Polen haben daran mitgearbeitet. Und: Die Grünen geben sich nicht mit Vorschlägen zur Demokratisierung der Institutionen wie Ministerrat oder Kommission zufrieden, sondern versuchen eine inhaltliche Bestimmung der künftigen EU-Aufgaben. Christian Sterzing: „Wir wollen keine Modellschreinerei, sondern die gesellschaftliche Verankerung der Zukunftsdebatte.“

Mit diesem Ziel reagieren die Grünen auch auf die Forderung der deutschen Bundesländer nach einer genauen Kompetenzabgrenzung zwischen der EU und ihren Mitgliedsstaaten. In dem Papier bekennen sie sich einerseits zum Prinzip der Subsidiarität: „Die Union darf nur solche Aufgaben wahrnehmen, die sie auf effizientere Weise erledigen kann als politische Instanzen auf niedrigerer Ebene.“ Zugleich wird aber festgestellt, dass eine „streng horizontale Kompetenzabgrenzung auf der Basis herkömmlicher Portfolios keine adäquate Lösung bietet“. Beispiel Umweltschutz: Lärmschutz müsste auf regionaler Ebene geregelt werden, Klimaschutz dagegen auf europäischer.

Bei der Frage der institutionellen Neuregelung überrascht das Papier in zwei Punkten. Zum einen fordern die Abgeordneten ein Zweikammersystem, bestehend aus Europäischem Parlament und einer Europäischen Staatenkammer, die den gegenwärtigen Ministerrat ersetzen soll. Damit grenzen sie sich von Außenminister Fischer ab, der am Mittwoch seinen Vorschlag zur Bildung einer zweiten Parlamentskammer aus nationalen Abgeordneten wiederholt hatte.

Außerdem schlagen die Grünen vor, den Präsidenten der EU-Kommission zum „Gegenstand“ europäischer Wahlen zu machen. Dafür soll eine bestimmte Anzahl der EP-Abgeordneten nicht mehr über nationale, sondern „transnationale“ Listen gewählt werden. Die Spitzenkandidaten dieser Listen wären dann zugleich die Kandidaten für das Amt des Kommissionspräsidenten. Und dieser soll, wenn die grüne Vision wahr wird, EU-Regierungschef werden. Zur Umsetzung ihrer Vorschläge setzen die grünen Abgeordneten nun ganz auf ihre Kollegen. Erstmals, so Sterzing, würde eine EU-Reform nicht mehr von der Exekutive, sondern mehrheitlich von Parlamentariern vorbereitet. Und diese würden europäischer denken als die Regierungschefs.

SABINE HERRE