: Geld komplett verbrennen!
■ „Burning Money“ beim Filmfestival „Verzaubert“ untersucht anhand einer kollektiven Extremsituation die Bedingungen von Selbstbestimmung
In Godards Poirot le Fou gibt es eine wunderbare Szene, in der die beiden flüchtigen Liebenden ihr gesamtes Hab und Gut verbrennen: ein Auto mit einem Kofferraum voll Geld. Diese Szene markiert einen Wendepunkt in der Erzählung, symbolisiert sie doch die Abwendung von einem bürgerlichen Leben und seinen Versprechungen. Indem die Liebenden ihre Fluchtlinie kappen, kann ihre Vergangenheit sie in Zukunft nicht einholen: Das Geld als Movens, das zurück in die Arme der Bourgoisie helfen kann, fehlt. Als bereinigende Geste zeigt das Geldverbrennen auf, dass die Liebenden fortan ausnahmslos auf sich selbst angewiesen sind. Ihre Geschichte kann sich nun und nur in eine unbekannte Zukunft hinein entrollen.
Eine umgekehrte Funktion hat das Geldverbrennen in Burning Money, der am Sonntag im Rahmen des „Verzaubert“-Festivals gezeigt wird. Angel und Nene sind Liebende und Gangster, die für einen Überfall auf einen Geldtransport gebucht werden. Doch der Coup erweist sich als Falle, und die Liebenden müssen, verfolgt von einer unerbittlichen Polizei, fliehen. Nunmehr sind die Gangster auf eine Gegenwart geworfen, die ihnen von außen vorgegeben ist und die sich als unerträgliche Situation des Gefangenseins erweist. Zum Untertauchen gezwungen, befinden sich die am Coup Beteiligten plötzlich in einem Zustand der Abgeschnittenheit wieder. Geld wird zum Movens der Anderen, ihr Leben zunichte zu machen. Gleichzeitig sind die Verfolgten fundamental voneinander abhängig, da jedes Fehlverhalten zu einer Bedrohung der Existenz aller führen kann. Jeder ist der potenzielle Feind des Nächsten, jeder sein eigener Feind.
Was bislang als Lebensstrategie zählte, kann unter der Bedingung einer Situation, die nicht selbst gewählt ist, zur Gefahr werden. Insbesondere die Liebe erscheint nun in einem anderen Licht. Ohne Hoffnung auf eine andere Zukunft zählt allein das gegenwärtige Gefühl. In seiner ungemilderten Reinform zeichnet es sich durch das Aufbrechen der Verdrängung aus. Denn Angel und Nene lieben zwar einander, aber nicht sich selbst, haben sich füreinander, aber nicht für die eigenen Gefühle entschieden: eine Kluft, in der sich ihre verinnerlichte Homophobie zeigen kann und auf Grund derer sie sich letztendlich selbst verfolgen. Und wenn sie am Ende das für ihre Situation verantwortliche Geld verbrennen, so gewinnen sie – anders als in Poirot le Fou – keine neue Zukunft. Der Befreiungsschlag gilt vielmehr dem verinnerlichten Außen und macht die Verfolgung unwirksam. So lautet die Formel des Films, dass Freiheit kein Entwurf einer Zukünfigkeit ist, sondern vielmehr die Befreiung von einer unerträglichen Gegenwart, in der sich die Beteiligten selbst verstümmeln.
Doro Wiese
So, 9.12., 20.45 Uhr Cinemaxx 3
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