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Huntington im Klassenzimmer

Jugendliche in Brüssel spielen West Side Story statt Völkerverständigung. Eine verflixte Situation

DANIELA WEINGÄRTNER über den Unterschied zwischen Fensterreden und Straßenschlachten.

Nach den Anschlägen in den USA fand Romano Prodi in der größten Brüsseler Moschee ergreifende Worte: „Nur ein paar Schritte von dieser wundervollen Moschee entfernt sind wir dabei, ein Europa zu bauen, das menschlich und offen für alle Traditionen und Religionen ist, die die humanistischen Werte respektieren.“

Nur ein paar Schritte von dem wundervollen Gotteshaus entfernt steht auch Brüssels dritte Europaschule, die aus Prodis Kommissionsetat finanziert wird. Meine Kinder gehen dorthin, zusammen mit mehr als tausend Eurokraten-Sprösslingen. Die meisten von ihnen sind gut für den Schulalltag gerüstet: mit Papas Handy und Mamas Kreditkarte. Hätte sich Prodi dort umgehört, wären seine Worte vielleicht weniger überschwänglich ausgefallen. Denn in unserer Schule spielen sie derzeit nicht Völkerverständigung, sondern West Side Story.

Die Immigranten ohne Handy und Kreditkarte, die in die belgische Schule im gleichen Viertel gehen, mögen die coolen Eurokids mit den teuren Klamotten nicht. Auf dem Schulweg kommt es immer wieder zu Rempeleien und Pöbeleien. Jugendbanden haben sich darauf spezialisiert, Kindern aus reichen Cliquen Geld, Handys und Armbanduhren abzunehmen. Sie lassen ihre Messer blitzen und führen vor, wer auf der Straße das Sagen hat. Die Brüsseler Polzei ist da wenig hilfreich: Sie geht Randale lieber aus dem Weg. Und wir Eltern haben auch kein Rezept, nur den hilflosen Rat, lieber die Lederjacke als ein paar Zähne zu opfern.

Eine Gruppe von Schülern der Europaschule wollte sich damit nicht zufrieden geben und rüstete zur Entscheidungsschlacht. Bewaffnet mit Baseballschlägern, zogen sie los, um den Underdogs eins auf die Nase zu geben. Die Brüsseler Polizei war ausnahmsweise mal rechtzeitig da. Die Polizisten fotografierten alle Jugendlichen und die mitgeführten Waffen. Dann schickten sie die jungen Leute nach Hause.

Damit war das Problem natürlich nicht aus der Welt. Unter dem etwas überdimensionierten Titel „Schützt unsere Kinder. Sichert unsere Zukunft“ wirbt inzwischen eine Elterninitiative um unsere Unterschriften. Wir sollen den belgischen König bitten, von diesen Missständen Kenntnis zu nehmen und dafür zu sorgen, dass Brüssel eine lebenswerte Stadt bleibt – auch für die Mitarbeiter der EU-Insitutionen und deren Kinder. Der Briefentwurf war der Startschuss für Huntington im Klassenzimmer. Während einige Familien – vor allem deutsche und österreichische – ihn für ein gutes Beispiel von engagiertem Bürgersinn halten, wittern andere – vor allem französische, spanische und italienische Eltern – eine rassistisch motivierte Schlammschlacht gegen andere Traditionen und Religionen.

Seit Wochen wird in unserem elektronischen Debattierclub statt über den chronisch verspäteten Schulbus über den Brief an den König gestritten. Der spricht zwar lediglich von „belgischen und internationalen Familien“, die durch „kriminelle Jugendbanden“ bedroht seien. Die Kritiker aber wissen genau – und oft aus eigener Erfahrung –, dass es meist arabische und schwarzafrikanische Jugendliche sind, die Stadtpiraten spielen.

Eine verflixte Situation. Ich möchte mir nicht sagen lassen, dass ich als taz-Autorin für Toleranz eintrete, privat aber die Argumente von Haider und Co. mittrage. Ich möchte andererseits meine empörten Kinder nicht mit der Erklärung abspeisen, auf Brüssels Straßen herrsche eben nicht das Recht, sondern das Recht des Stärkeren. Politiker haben es leichter. Zwischen Prodis Moschee-Rede und Berlusconis Anti-Islam-Pöbelei fällt die Wahl nicht schwer.

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