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Der Kleinring

Wo Berlin wie die Bronx ist, wird auch so geboxt. Mann ist ganz nah am Ring und sieht die Anstrengung. Das reicht

„Janz ruhig. Du liegst vorne.“ Der Ruf kommt ganz hinten aus dem prall gefüllten Raum. Der Kämpfer, dem er gilt, boxt gerade mal zehn Sekunden, der Zuruf macht also keinen Sinn, und alle Umstehenden lachen herzlich.

Im Boxtempel Weißensee, gelegen in der Lehderstraße, wo Berlin aussieht, als sei es wirklich eine Weltstadt, die auch eine Bronx hat, findet mal wieder einer der Boxabende statt. Profikämpfer, denen keine gigantischen Gagen und keine Berühmtheit wie den Klitschkos, Dariusz Michalszewski oder Henry Maske winkt. Der Hauptkampf am Freitagabend wurde bestritten von Ralf Packheiser und Marco Hainichen. Zwei Schwergewichtler, beide aus Berlin. Gewonnen hat klar nach Punkten Packheiser, den alle nur „Packe“ rufen und der gute 115 Kilogramm auf die Waage bringt. Packheiser hatte mal einen Kampf um die Deutsche Meisterschaft, den hat er umstritten gegen René Monse verloren.

Aber schon Monse ist nicht die Spitze des deutschen Schwergewichts und Packheiser schon gar nicht. Packheiser ist aber heute in Weißensee der beste Mann. Über tausend Leute sind gekommen. Die Preise beginnen bei 25 und enden bei 60 Mark, und der Luxus, der den Käufern teurer Tickets geboten wird, sind Biergartenbänke. Nah am Ring ist man ohnehin. Man hört es klatschen, sieht das Blut und sieht die Anstrengung.

Das Publikum sind Männer, fast vollständig. Nur wenige Frauen sind da. Die Männer sehen überwiegend aus, als trainierten sie auch Kampfsport: kräftig, braungebrannt, viele haben eine rasierte Glatze, einige tragen eng sitzende Anzüge. Die Frauen begleiten die Männer. Stehen neben ihnen, hören zu, nicken, lassen sich Feuer geben.

„Boxen hautnah“ ist das Motto des Abends. Sagt zumindest André Reiser, der Ringsprecher. Gekonnt betreibt er sein Geschäft, begrüßt die Ehrengäste – einen Eurosport-Moderator, einen Exprofi und einen Autohausbesitzer, der mit Familie da ist und dessen Firma die Veranstaltung sponsert. Der Veranstalter ist Ralf Reiser, der Vater des Ringsprechers. Er zieht mit wachsendem Erfolg in den letzten Jahren Boxveranstaltungen in Berlin hoch. Mal in Weißensee, manchmal auch in der Moabiter Universal-Hall. „Kleinring“ heißt der Fachausdruck, aber den hört Reiser nicht gern. „Bei uns ist der Ring genauso groß wie bei den anderen.“

Große Namen kann Reiser nicht verpflichten. „Aber hier wird ehrlich geboxt“, sagt Mario Lupp, Berliner Profiboxer, an diesem Abend nur Zuschauer. Sechs Kämpfe wurden zusammengestellt: fast alle Boxer kommen aus Berlin, nur zwei sind aus der Slowakei. Eingekaufte Slowaken würden als Fallobst verpflichtet, so sagt man, als Boxer, die schnell umfallen, damit der Sieger wieder einen K.o. in seinem Rekord, der Liste seiner Kämpfe, vermerken kann.

Ferdi Teber ist Berliner. Er ist 22 Jahre alt, seit drei Jahren besitzt er eine Profilizenz, hat aber erst drei Kämpfe bestritten, zwei davon gewann er. Die Leute feuern ihn an. Sein Gegner ist ein Slowake, Peter Feher heißt der, und außer dass er knapp über 63 Kilo wiegt, ist nicht viel über ihn bekannt.

Ferdi, der Publikumsliebling, der Che Guevara auf dem Oberarm hat, boxt verhalten. Selten trifft er, selten verlässt er die Doppeldeckung, der Kampf entwickelt sich nicht gut für ihn. In die Anfeuerungsrufe mischt sich anderes: „Ferdi, du liegst hinten. Du musst was tun.“ Am Ende verliert Ferdi Teber seinen Kampf nach Punkten: Der vierte Kampf der Karriere, die zweite Niederlage. Eine große Karriere kann jetzt schon nicht mehr beginnen.

In Weißensee will man Kampf sehen, und wer, wie Enrico Merkl, ein Boxer der technisch sauberen DDR-Amateurschule, sich schon zu Beginn tranig im Ring bewegt wie einst Henry Maske, der kriegt die ganze Häme ab. „Janz ruhig, du liegst vorne“, muss er sich anhören. Dass Merkls Kampf gegen den Berliner Pitro Oberzanek ohne Entscheidung nach der ersten Runde abgebrochen wird – Grund war ein „unbeabsichtigter Kopfstoß“ gegen Merkl, wie das Kampfgericht verkündete – hat in Weißensee niemanden so recht gestört. MARTIN KRAUSS

Der nächste Kampfabend findet hier am 15. Februar statt.

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