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Meditativ verbindend

Kleine Ausstellung mit großer emotionaler Aussagekraft: In der AGB sind Urlaubsfotos zu sehen, die die Berliner vor den Anschlägen auf das WTC in New York gemacht haben

Siehe! Dort waren wir! Im Foyer der AGB, zwischen Garderobe und Saaleingang, stehen vier Tafeln mit zirka 300 Amateurfotografien. Unterschiedliche Formate, Farben, Schärfen – das Ganze sieht wie die netten Fotos aus, die im Flur einer Schule ausgehängt werden, um an den letzten Ausflug zu erinnern.

Auf fast allen Bildern sind lächelnde Menschen zu sehen. Kinder, Paare, Familien, Omas, Opas; aus Lichterfelde, Wilmersdorf oder Treptow. Sie alle waren als Touristen auf der Terrasse des WTC, auf der Ellis Island oder auf der Brooklyn Bridge, und sie alle haben davon ein Foto gemacht. Unter jedem Bild steht nur der Name der Person und wo sie in Berlin wohnt. Wichtig ist nur, dass alle Bilder „vorher“ aufgenommen wurden. Vorher, als die Welt noch in Ordnung war, als die Türme des WTC die grandioseste Kulisse der Welt für Amateurfotografie war.

Die glücklichen, schönen Momente, die die Bilder vermitteln, stehen in einem starken Kontrast zur Erschütterung von denen, die sie geschickt haben. Insgesamt waren mehr als 1.000 Zuschauer der SFB-Abendschau an der Aktion „Mein New York“ beteiligt, als Anfang Oktober ihre Fotos zuerst im Fernsehen gezeigt wurden. Sie kam zu Stande, als einige Redakteure der Abendschau sich spontan ihre eigenen New-York-Bilder zeigten.

Dass eine solche Geste irgendwie aus der Ratlosigkeit helfen konnte, beweisen einige Briefe der Zuschauer, die neben den Fotografien präsentiert werden. Viele bedanken sich beim Sender für die Aktion, weil ihnen damit die Möglichkeit gegeben wurde, mittels der Sprache von Bildern etwas gegen ihre eigene Sprachlosigkeit angesichts der Ereignisse zu unternehmen und zugleich damit ein Zeichen der Solidarität zu setzen.

Die Ausstellung „Berliner: Mein New York“ ist recht klein, ihre emotionale Aussagekraft dafür ziemlich groß. Erstaunlicherweise erzeugt die Monotonie der Motive keine Langweile, sondern bringt den Betrachter in eine Art meditativen Zustand, der zwischen Fassungslosigkeit und Trauer oszilliert. Irgendwann erinnert nämlich das enge Nebeneinander unbekannter, dafür benannter Gesichter an die spontanen, collageartigen Sammlungen von Fotografien, die die Angehörigen der Opfer kurz nach dem Anschlag in der Nähe von Ground Zero aufhängten, in der Hoffnung, dass irgendjemand sie noch am Leben gesehen hätte. In diesem Sinne verbinden sich die Bilder lebendiger Menschen, wie sie in Berlin auf den Bildern zu sehen sind, mit den in New York Gestorbenen. Ganz normale Menschen, die auf Urlaubsfotos ganz bestimmt auch gelächelt haben.

YVES ROSSET

Bis 11. 01. 02., Mo 15–19, Di–Sa 11–19 Uhr, Amerika-Gedenkbibliothek, Blücherplatz.

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