: Werben bis zur Selbstverleugnung
Bei der ersten Bundestagsdebatte zum Einwanderungsgesetz verspricht Innenminister Otto Schily der Union, den Zuzug zu begrenzen. Stellt sich nur die Frage: Warum braucht es überhaupt ein neues Gesetz, wenn sich gar nichts ändern soll?
aus Berlin LUKAS WALLRAFF
Am Ende der ersten Bundestagsdebatte über das Zuwanderungsgesetz saß Otto Schily wie ein kleiner Hinterbänkler in den Reihen der SPD-Fraktion. Seinen Ministersessel hatte er verlassen, weil er dem CDU-Redner Erwin Marschweski eine Zwischenfrage stellen wollte – und das darf man nur im Plenum. „Das Wort hat der Abgeordnete Schily“, sagte Bundestagspräsident Wolfgang Thierse – und Schily bat den Kollegen Marschweski, doch bitte zur Kenntnis zu nehmen, dass Rot-Grün sogar weniger Bürgerkriegsflüchtlinge aus dem Balkan aufgenommen habe als die Regierung von Helmut Kohl.
Weniger Flüchtlinge, überhaupt weniger Zuwanderung: Der kleine Exkurs des Innenministers war bezeichnend für einen Vormittag, an dem Schily alles tat, um der Union doch noch seinen Gesetzentwurf schmackhaft zu machen. Schließlich hat er zumindest offiziell noch nicht die Hoffnung aufgegeben, die notwendige Zustimmung der Union im Bundesrat zu bekommen und das letzte große rot-grüne Reformprojekt noch vor der Wahl durchzubringen.
Allein die Mühe war vergebens. Schily konnte noch so oft betonen, dass auch er „eine klare Begrenzung“ wünscht, dass auch er nur eine Zuwanderung plane, die den „eigenen wirtschaftlichen Interessen Deutschlands“ diene – die Union blieb bei ihrem Nein. CDU/CSU-Fraktionsvize Wolfgang Bosbach forderte Schily auf, den Gesetzentwurf noch einmal grundlegend zu überarbeiten. Sonst werde die Union nicht zustimmen. Gebetsmühlenartig wiederholte er die Bedingungen: Absenkung des Nachzugsalters für Kinder auf zehn Jahre und die Zurücknahme der Anerkennung von nichtstaatlicher Verfolgung. Da half es auch nichts, dass Schily gerade erklärt hatte, es gehe nicht um Ausweitung der Asylgründe, sondern nur um einen verbesserten Status der Flüchtlinge. Der SPD-Abgeordnete Rüdiger Veit versicherte sogar: „Es wird kein einziger Flüchtling mehr kommen.“
Bis an den Rand der Selbstverleugnung redeten Schily und die anderen SPD-Redner das Zuwanderungsgesetz herunter und warfen so unfreiwillig die Frage auf: Warum braucht es überhaupt eine neue Zuwanderungsregelung, wenn sich gar nichts verändern soll?
Ganz so weit wollte sich Grünen-Fraktionschefin Kerstin Müller nicht verbiegen: „Natürlich ist das ein Paradigmenwechsel“, sagte sie. Das Zuwanderungsgesetz sei „ein Meilenstein auf dem Weg zu einer modernen Einwanderungspolitik“.
Ein Kompromiss ist nach dieser Debatte weiter nicht in Sicht. Schily, der selbst ernannte Konsens-Moderator, wird den Grünen wohl noch mehr Zugeständnisse abringen müssen, falls er die Union noch überreden will. Als er leicht genervt auf seinem Abgeordnetenplatz saß, streute CDU-Mann Marschweski noch mal Salz in Schilys Wunden: „Sie dürfen nicht zu einem einfachen Parteisoldaten werden.“ Es gehe „um das Wohl des Volkes und nicht um das Wohl dieser brüchigen Koalition“.
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