: Gerichtshof stärkt Minderheitenrechte
In Österreich müssen Orte mit einem Minderheitenanteil von zehn Prozent künftig zweisprachig ausgeschildert sein
WIEN taz ■ An den slowenischen Namen Celovec werden sich die Klagenfurter vielleicht gewöhnen müssen. Der Verfassungsgerichtshof in Wien hob am Donnerstag die Ortstafelbestimmung im Volksgruppengesetz von 1976 auf. Die Regelung, wonach topografische Bezeichnungen nur in Ortschaften mit mehr als 25 Prozent Volksgruppenangehörigen zweisprachig anzubringen sind, sei verfassungswidrig. Ab sofort können schon Gemeinden mit zehnprozentigem Minderheitenanteil solche Ortstafeln einfordern.
Konkret trifft das vor allem auf den Süden des Bundeslandes Kärnten zu, der vor 30 Jahren Schauplatz eines Ortstafelstreites war. Damals überschmierten slowenischstämmige Aktivisten Schilder mit slowenischen Namen. Bis dahin war die im Staatsvertrag von 1955 festgelegte Regelung in keiner gemischtsprachigen Gemeinde verwirklicht worden. Bundeskanzler Bruno Kreisky gelang es, den Streit beizulegen. Es wurde eine Volkszählung abgehalten, um die Stärke der slowenischen und kroatischen Minderheiten zu ermitteln. Etwa zwei Drittel der Gemeinden mit mehr als 25-prozentigem Volksgruppenanteil bekamen zweisprachige Tafeln.
Die jüngste Entscheidung des Verfassungsgerichtshofes wurde durch ein Strafmandat wegen Schnellfahrens provoziert. Ein Kärntner Jurist war 1994 im Ortsgebiet der Gemeinde St. Kanzian bei Tempo 65 angehalten worden. St. Kanzian gehört zu jenen Gemeinden, die zweisprachig beschildert sein müssten, aber noch auf die slowenischen Schilder warten. Juristisch sind Ortsschilder nichts anderes als Verordnungen. Die von St. Kanzian, so das Argument des Juristen, seien nicht ordnungsgemäß verlautbart worden, nämlich zweisprachig, und daher nicht rechtsgültig. Ergo habe er sich auf einer Landstraße befunden und sei zu Unrecht angehalten worden.
Dieser Meinung schlossen sich die Verfassungshüter an und senkten die Minderheitenquote auf zehn Prozent. Davon sind 100 Ortschaften betroffen.
Jörg Haider, Landeshauptmann von Kärnten, schlachtete den Fall politisch aus. In einem ersten Statement bezeichnete er die Gerichtsentscheidung als „vorgezogenen Faschingsscherz“. Er beruft sich auf die noch nicht bekannt gegebene jüngste Volkszählung, wonach die Stärke der slowenischen Volksgruppe „erheblich zurückgeht“. Haider wolle dem Bundeskanzleramt nahe legen, „die falsche Entscheidung des Verfassungsgerichts durch ein Verfassungsgesetz“ zu korrigieren. „Die Volksgruppe lebt nicht von den Ortstafeln, sondern von Schulen, Kindergärten und Förderungen“, erklärte Haider. „Solange ich Landeshauptmann bin, wird es keine zusätzlichen zweisprachigen Ortstafeln geben.“ RALF LEONHARD
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