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Trittin sauer, Scharon sauer

Des Kanzlers Leitmedium ist vom Kurs abgekommen: „Bild“ druckt ein Ariel-Scharon-Interview, das angeblich nie geführt wurde. Das Blatt beteuert, alles sei korrekt

BERLIN taz ■ Wenn Kai Diekmann Exklusivgeschichten aufschreibt, kommen schon mal 488 Seiten zusammen – wie im Fall, als Helmut Kohl ihm seine Erinnerungen „Ich wollte die Einheit Deutschlands“ in die Feder diktierte. Der Kanzler hat inzwischen gewechselt, Diekmann ist zum Bild-Chefredakteur aufgestiegen und hat nun über Nacht ein Problem mit einer Exklusivgeschichte bekommen: Das großformatige Interview eines Bild-Korrespondenten mit dem israelischen Ministerpräsident Ariel Scharon soll nie geführt worden sein.

Diekmann verkaufte den Text am Freitag auf Seite 2 als „BILD-Exklusiv-Interview“. „Das Interview hat überhaupt nicht stattgefunden“, sagte Scharon-Berater Ra’anan Gissin gestern der dpa in Jerusalem. Er habe der Zeitung eine offizielle Beschwerde übermittelt. Das Büro des Ministerpräsidenten bestätigte den Vorwurf gegenüber Reuters und AFP, die Bild wies ihn zurück.

Zum zweiten Mal in einem Jahr sieht sich der Chef von Deutschlands mächtigster Zeitung damit dem Vorwurf ausgesetzt, sein Blatt arbeite mit unlauteren Methoden. Zuletzt musste Diekmann sich im Januar bei Umweltminister Jürgen Trittin entschuldigen. „Was machte Minister Trittin auf dieser Gewalt-Demo?“, hatte das Blatt auf Seite 2 gefragt und ein Foto mit Hinweispfeilen versehen, die angeblich auf einen Schlagstock und einen Bolzenschneider in der Hand von Trittins Begleitern zeigten. Kurz darauf bekannte Bild, es habe sich um einen Handschuh und ein Seil gehandelt: „Wir bitten, diesen Fehler zu entschuldigen.“

Für Diekmanns Position ist der Fall Scharon potenziell gefährlicher, nicht nur weil ein ausländischer Regierungschef involviert ist. Vor allem droht dem Bild-Chef der Zorn von Verlegerin Friede Springer. Für den Exradikalen Trittin hatte die Witwe von Axel Cäsar Springer nie viel übrig gehabt, dem Staat Israel dagegen ist sie so verbunden, dass sie letztes Jahr mit dem Leo-Baeck-Preis ausgezeichnet wurde.

Um den Schaden zu begrenzen, fanden gestern Nachmittag hektische Verhandlungen zwischen Springer und der israelischen Botschaft in Berlin statt. Die Diplomaten ließen mehrfache taz-Anfragen unbeantwortet, rückten aber von den Vorwürfen ihrer Regierung auch nicht ab. Diekmann lehnte es auf taz-Anfrage ab, sich öffentlich zu äußern. In einer schriftlichen „Erklärung der Bild-Chefredaktion“ wird stattdessen eine Erläuterung angeboten, die Zweifel an weiteren „Exklusiv“-Geschichten aufkommen lässt: „Das Interview beruht auf einem Gespräch mit dem Berater des Ministerpräsidenten Dr Ra’anan Gissin“, wird der Bild-Korrespondent zitiert. Die Fragen seien „ausdrücklich im Namen Scharons beantwortet“ worden. Bild-Insider betonen, dass auch frühere Scharon-Interviews nach dieser Methode geführt wurden – ohne Beanstandungen. Vor allem im angelsächsischen Raum sei dies üblich. Bis gestern erfuhren die Leser davon nichts.

PATRIK SCHWARZ

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