: Auf den Mund gekommen
■ Das 1:1 gegen den SC Freiburg zeigt, dass beim Hamburger SV vor dem Sieg die Kommunikation steht
Es waren erst 20 Minuten zwischen dem HSV und Freiburg gespielt, als erste Fesseln der Resig-nation das Spiel zu neutralisieren versuchten. Beide Mannschaften ertasteten sich ihre Räume, checkten bedächtig die Tagesform ihres Gegners ab, versuchten Lücken zu erahnen und schoben die Kugel nur selten in Zonen, die den Geräuschpegel im Volkspark anheben sollten. Die durch den bisherigen Saisonverlauf bereits ihrer Erwartungen beraubten HSV-Fans stellten sich erneut auf einen Nachmittag der trägeren Sorte ein, gaben sich der durch ihr Team inzwischen beinahe zwangsverordneten Erwartungsfreiheit hin und forderten in ihrer über die Saison aufgesogenen Reaktionsmüdigkeit den wieder genesenen HSV-Spielmacher Rodolfo Cardoso. Einem, dem wenn wirklich nichts anderes mehr hilft, klassischerweise spielerhellende Fanprojektionen („Die Sonne scheint bei Tag und Nacht, Rodolfo Cardoso“) zugeschrieben werden. Erst recht innerhalb des trist-ergrauten Mannschaftsgefüges des HSV.
Doch der Argentinier war es nicht, der den Gästetrainer Volker Finke just in diesem Moment des Spiels zu einer wütenden Reaktion veranlasste. Ein Freistoßurteil des Schiedsrichters gegen sein Team, 20 Meter entfernt vom Tor des Ex-HSV-Keepers Richard Golz, ließ Finke ungehalten sein wärmendes Stirnband vom Kopf reißen, um es in Richtung Trainerbank zu schleudern. Zwar brachte der von Stig Töfting gefährlich getretene Freistoß kein zählbares Ergebnis für den HSV, war aber durchaus als Weckruf für seine Teamkameraden geeignet. Hier ging etwas, spürten die Spieler plötzlich und begannen sich forscher auf dem Platz zu bewegen. Freiburgs Coach Finke, wohlwissend, dass seine Mannschaft zunehmend in Bedrängnis kam, ruderte inzwischen mehr mit seinem ganzen Körper als mit seinen Armen und forderte seine Spieler auf, sich aus der zunehmend misslichen Lage auf Höhe des eigenen Strafraums zu befreien.
Just da, wir befinden uns immer noch im Zeitfenster zwischen 18. und 22. Minute, begann ein anderer Beteiligter auf Seiten des HSV ebenfalls ordnende Zeichen in Form von Handbewegungen an seine Mitspieler zu gestikulieren. Ein Reservist aus der Zweiten spanischen Liga und Neuzugang sorgte für die Gesten, die es spätestens seit Beginn dieser Saison beim HSV so nicht mehr gegeben hat. Raphael Wicky sprach, sah und ...(nein, das wäre jetzt zu blöd und stimmt auch gar nicht). „Der Trainer hat von mir verlangt, viel zu sprechen“, erklärte der Schweizer Nationalspieler und brachte damit ein bisheriges Manko des HSV-Spiels auf den Punkt. Als defensiv orientierter Mittelfeldspieler versuchte Wicky die von HSV-Trainer Kurt Jara seit dem Dortmund-Spiel verlegten Grundsteine taktischer Ordnung im Abwehrbereich (Viererkette mit Hollerbach, Maltritz, Uijfalusi und Fukal) direkt im Mittelfeld auf- oder auszubauen. Nicht zuletzt durch Wickys einleitende Ideen und Bemühungen begann der HSV sich über die Mittellinie hinaus zu bewegen und veranlasste zunehmendes Unwohlsein bei den Betrachtern auf Freiburger Seite.
Hollerbachs diagonale Flanke über das gesamte Spielfeld, die den Ball auf Erik Meijers Kopf trieb, von wo aus die Kugel in hohem Bogen über die Freiburger Innenverteidigung Diarra-Müller flog und Roy Präger zu einem tollen Fallrückzieher einlud, der – um alle Perfektion abzurunden – auch noch im Tor landete, bestätigte die bösen Vorahnungen der Freiburger. Sicher war, selbst wenn einige von gefährlichem Spiel sprachen und in dem tollen Tor eine Regelwidrigkeit sahen, dass dieses Tor viele HSV-Fans nicht mehr nur von alten, schöneren Zeiten träumen ließ. Beseelt von dieser Szene und dem Auftritt seiner Mannschaft zwischen der 20. und 45. Minute sprach auch Jara von einer „90-minütigen Dominanz“ seines Teams, die aber keineswegs drei Punkte Abstand zum Tabellenkeller erbrachte.
Tatsächlich stolperte der Freiburger Müller in der 68. Minute den Ball noch über die Torlinie des in dieser Situation derangiert wirkenden Keepers Pieckenhagen und bestrafte den Hamburger SV für seine ausgelassenen Chancen. In der Nachspielzeit der Partie hatten die Gastgeber zwar eine doppelte Gelegenheit, nach einer einfachen Ecke noch das 2:1 zu erzielen, doch Fukal köpfte Golz an und Meijer hoppelte der Ball auf dem unebenen Rasen noch vom Fuß. „Das sind Szenen, wo man mit einer Chance zwei Tore machen kann“, schimpfte Jara und ärgerte sich erst recht, als er den Gedanken vollenden musste: „...und wir machen nicht mal eins.“ Oke Göttlich
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