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„Kämpfen um jeden Zentimeter“

Verbotsschilder an Spielplätzen, weder Bolzplatz noch Halfpipe: Der Neubausiedlung Rahlstedter Höhe, eigentlich attraktiv für junge Familien, fehlen Handlungsräume für Kinder  ■ Von Kaija Kutter

Es soll eine Vorzeigesiedlung sein. „Pudelwohl“, „wie im Paradies“ fühlen sich laut Eigenwerbung der Hamburger Baugenossenschaften die jungen Familien in der Neubausiedlung Rahlstedter Höhe, die einen „Gartenstadt-Charakter“ haben soll. Doch wer zwischen den Häuserblöcken spaziert, merkt sehr bald: Die Siedlung ist für ein Hamburger Randgebiet dicht bebaut. Dies sei auf Druck der Investoren geschehen, berichten die Architekten, die den Funktionsplan für das Gelände der ehemaligen Böhm-Kaserne erstellten. Statt ursprünglich 1400 wurden 1650 Wohnungen, darunter 120 Reihenhäuser, sowie 500 Altenwohnungen gebaut.

In die Anlage zogen vor allem junge Familien, für die die Mieten iInnenstadt-Bereich zu hoch sind oder die hier ihren Traum von einem gerade noch bezahlbaren Stück Grün verwirklichen wollten. Doch was als ökologisch vorbildlich gilt, die flächenschonende Enge, führt auch zu Konflikten. Zwischen Erwachsenen und Kindern zum Beispiel.

Vordergründig gesehen wurden deren Bedürfnisse bedacht. In jedem der acht Wohnhöfe mit Genossenschaftswohnungen stehen Spielgeräte, das ist für Kinder unter sechs Jahren auch gesetzlich vorgeschrieben. Doch sie stehen dicht neben Vorgärtchen mit Vogelhäuschen, direkt neben Terrassen und Wohnzimmerfenstern. Der geringe Abstand der Gebäude erzeugt zudem mancherorts einen Hall.

Die „Kafu Nordland“-Baugenossenschaft tat deshalb das Naheliegende. Sie baute ein Holztor mit der Aufschrift „Privatspielplatz – nur für Genossenschaftsmitglieder“ vor ihren Spielhof. Den Nachbarhof einer anderen Wohnungsgesellschaft verschließen sogar Gittertüren, für die die Mieter einen Schlüssel haben.

Eine Hürde, die manche Kinder mit sportlichem Ehrgeiz nehmen. „Ich weiß, wie ich dahin komme“, verrät der 6-jährige Justin*. Die große Hüpf-Wippe im Hof ist einfach zu attraktiv für ihn und seinen Freund. Über die Mülltonnen und dann über die Mauer klettern, schon sei er drin.

„Soll ich euch aufschließen?“, fragt eine 9-Jährige. Die Tore, so erklärt das Mädchen, seien nur wegen der Verschmutzungen eingebaut. Die Schilder bedeuteten keineswegs, dass „Hans nicht seinen Freund Uwe mitbringen kann“, betont auch Udo Haase von der „Kafu Nordland“. „Es ist nur nicht korrekt, wenn ganze Kindergärten dorthin gehen.“

Doch trotz freundlicher Worte – die Abgrenzung stellt die Bewegungsfreiheit auf allen Plätzen in Frage. „Die schreiben Privatspielplatz dran und spielen dann auch bei uns“, ärgert sich Justin. Sein Wohnhof an der Timmendorfer Straße, den er mit mehreren Dutzend Kindern teilt, hat auch attraktive Spielgeräte, allerdings nur für Kleinkinder. Sandkisten, Klettertürmchen und die allgegenwärtigen Schaukel-Tiere. Hier gibt es keine Verbotsschilder, wohl aber einen Brief der „Hansa“-Baugenossenschaft an die Mieter, die Ruhezeit von 13 bis 15 Uhr einzuhalten. „Mütter sollten sich in dieser Zeit mit den Kindern beschäftigen und darauf achten, dass sie nicht kreischen“, erklärt Hansa-Mitarbeiterin Sabine Rothkirch. Und auch nicht Bobbycar fahren, das sei gerade bei älteren Kindern laut.

Die Hansa-Wohnungen sind „familiengerecht“, sagt Rothkirch. Das Leben im Hof wird per Video überwacht. Eltern können so in der Wohnung am Bildschirm beobachten, ob ihre Kinder noch da sind. Für Justins Mutter schon längst keine Option mehr. Weil sie ihre 5-, 6- und 9-jährigen Kinder im Hof nicht mehr halten kann, dürfen die am Nachmittag selbstständig durch die Siedlung ziehen. Spätesten um fünf Uhr müssen sie zu Hause sein. „Das klappt ganz gut“, sagt Justins Mutter. „Ich hab– aber keine Lust, dass meine Kinder angemeckert werden, wenn sie woanders spielen.“

Die schicke Hängemattenschaukel des Nachbarblocks zum Beispiel steht an einem „Privatweg“. Recht grob auch der Hinweis an den vier Wohntürmen im Herzen der Siedlung: „Betreten verboten ... Eltern haften für ihre Kinder“, steht an der Grenze zum Fussweg. Und auf dem Rasen an der Rückfront verkünden zwei Schilder „Fußballspielen verboten“. Dabei beginnt dort eigentlich jener Stadtteilpark – ehemals der Exerzierplatz des Geländes –, der älteren Kindern als Spielplatz dienen soll.

So dachte es Martina Wiethüchter, als sie 1999 mit ihren drei Kindern eines der Reihenhäuser bezog. Das war, bevor am Westende des Platzes nochmal vier Wohntürme errichtet wurden. Das verbliebene von Hochhausfensterblicken eingerahmte Rechteck werde von den Kindern nicht angenommen, sagt Wiethüchter. Ihre Anregung, hier Sträucher zu pflanzen, damit Kinder sich auch mal verstecken können, lehnte das Gartenbauamt mit Hinweis auf mögliche Gefahren ab.

Wiethüchter engagiert sich in der „Stadtteilkonferenz Rahlstedter Höhe“, die nun einen Ausgleich für die dichte Bebauung fordert. „Hier leben sehr viele Kinder, die werden in zehn Jahren alle Jugendliche sein“, warnt ihre Mitstreiterin Inge Streich. „Wir müssen jetzt um jeden Zentimeter kämpfen.“ Denn wenn man den größeren Kindern keinen Raum anbiete, „kostet das in zehn Jahren viel mehr“.

Die Stadtteilkonferenz verwehrt sich gegen ein Negativbild des Viertels. Zu Recht: Dem Stadtteil eigen ist auch eine gewisse Euphorie. Alle sind neu, alle fangen an, alle helfen sich. Silvester wird gemeinsam gefeiert, Babysitterdienste ausgetauscht. „Schreiben Sie, dass hier auch vieles gut geworden ist“, bittet ein Familienvater – „der Rodelberg zum Beispiel“. Aus den Bodenplatten des alten Exerzierplatzes entstand in der nordöstlichen Ecke des Geländes die „Rahlstedter Höhe“, bei gutem Wetter mit Blick bis zum Fernsehturm. Würde ein Anwohner fünf mal drei Meter seines Hintergartens an die Stadt verkaufen, könnte ein Fußweg von diesem Park aus direkt zum Rahlstdter Bahnhof führen.

„Ich möchte mich dafür einsetzen, dass Rahlstedt diesen Stadtteil aufnimmt und nicht ablehnt“, erklärt Inge Streich, die gerade erst die Aufführung eines Hotzenplotz-Theaterspiels organisierte. Die Karten für das Kindertheater waren sofort ausverkauft, auch Kinderturnkurse haben bereits Wartelisten, die Grundschule platzt aus allen Nähten. Das Bezirksamt nimmt an, dass hier bis zu 1000 Kinder leben.

Da trifft es sich gut, dass der Sportplatz am Westende im Herbst 2002 frei wird, weil der Meiendorfer Sportverein dann woanders einen Platz bekommt. Hier, so meinen Wiethüchter und Streich, müsste nun dringend ein „Multifunktionsplatz“ für ältere Kinder geschaffen werden. Eine Halfpipe, Tischtennisplatten und natürlich ein Bolzplatz für das spontane Kicken am Nachmittag. „Es gibt hier nirgendwo einen Ort, wo Kinder Ball spielen können“, mahnen die Mütter an. Doch für das ovale Gelände, so haben sie gehört, hätten sich schon wieder Sportvereine beworben.

Die Fläche, erklärt Wandsbeks Sportreferent Otto Panzer, sei einst von der Innenbehörde für den organisierten Sport erworben worden und soll – „das hat die Bezirksversammlung so beschlossen“ – auch für diesen erhalten bleiben. Dabei würden neben dem Schulsport und Vereinen auch „Jugendbedarfe aus der Siedlung“ berücksichtigt, aber „nur in Form des organisierten Sports“. Panzer: „Es muss ein Betreuer dabei sein, wenn sie die Fläche freigeben, sonst geht der Rasen kaputt.“ Immerhin sei gerade erst für 75.000 Mark eine Bewässerungsanlage installiert worden. Im Gespräch für die offenen Spielangebote sei der Verein „Voll in Bewegung“, der bereits einen Jugendtreff vor Ort betreibt.

„–Voll in Bewegung– macht hier eine gute Arbeit“, lobt Inge Streich. „Es müsste aber auch eine Fläche geben, wo man sich unbetreut bewegen kann.“ Unabhängig von beschlossenen Planungen will die Stadtteilkonferenz nun Kinder und Jugendliche zu Wort kommen lassen. In einem Brief an die umliegenden Schulen fordert sie Schüler auf, eigene Konzepte zu entwickeln. Angesichts der geschaffenen Fakten keine schlechte Idee.

*Name geändert

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