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Kompetent inkompetent

In Hogwarts werden Harry Potter und seine Mitschüler vom Lehrling zum reifen Zauberer. Die Lehrer sind Vorbilder. Das ginge auch bei uns – ganz ohne Zauberei

Seit 25 Jahren unterrichte ich hierzulande und schäme mich für die Bedingungen, die ich akzeptiere

„Wenn das Leben Maßstab der Tests werde und nicht der Lehrplan, so gaben deutsche Pädagogen zu bedenken, dann sei das fragwürdig. Denn nur für die Einhaltung des Lehrplans seien sie haftbar zu machen.“ „Die Zeit“, Nr. 50, S.46 „Ein lehrreiches Desaster“

Was soll eine Schule, die nicht für das Leben steht, auf das sie vorbereiten soll? Unsere Lehrer wollen – wenn ich das jetzt bei allen schönen Konjunktiven richtig verstanden habe – nach den niederschmetternden Ergebnissen der Vergleichsstudie Pisa nur noch für die Einhaltung des Lehrplans geradestehen und auf gar keinen Fall für ihre SchülerInnen als jemand gelten, der mit den Erfordernissen dieser Welt irgendetwas zu tun hat. Ob das, was sie unterrichten, die Probleme der heranwachsenden Generation bewältigen hilft, dafür sind sie nicht „haftbar zu machen“.

Keine Sorge, kann ich da nur sagen, das haben alle doch längst begriffen! Ganz am Anfang vielleicht wandten sich Eltern und Schüler noch mit ihren Hoffnungen und Problemen an ihn, den Pädagogen (ein Wort, das sie auch ohne Griechischkenntnisse damals mit: „Er/sie begleitet mich bis in die Erwachsenenwelt“ übersetzten), von dem sie in der Tat erwarteten, dass er für alles geradesteht – vom unfreundlichen Hausmeister bis zum Diebstahl im Umkleideraum.

Später dann wurden sie eines Besseren belehrt: Der Lehrer selbst ist für überhaupt nichts verantwortlich, schon gar nicht für die Lehrpläne (die bekanntlich in Düsseldorf, Stuttgart oder anderen entfernten Orten erstellt werden). Wie ein quengelndes Kind kann er wortreich erklären, warum an tausend und einer Sache nicht er, das winzige Rädchen im Getriebe des öffentlichen Dienstes, sondern grundsätzlich andere die Verantwortung tragen. Jammern auf hohem Niveau, reden und predigen als hauptsächliche Tätigkeit, daran haben sich alle schon lange gewöhnt. Deshalb erwartet auch niemand, in dieser Schule irgendetwas für das Leben zu lernen – oder dass diese Schule aus eigener Kraft in der Lage wäre, sich zu ändern.

Einige empfehlen als Alternative Privatschulen. Wie wäre es etwa mit Hogwarts?

Vielleicht beruht der Erfolg von Büchern wie „Harry Potter“ darauf, dass der Held von seiner Schule tatsächlich erwarten kann, dass sie ihn vom Lehrling zu einem ausgewachsenen Zauberer macht. Wie die aussehen und sich verhalten, kann er Tag für Tag studieren: an seinen Lehrern. Sie stehen für die Welt der Magier gerade – und mehr noch, sie verkörpern sie. Sowohl Dumblemore als auch weniger beliebte Kollegen, die Harry unablässig zu schikanieren scheinen, haben das gleiche Ziel im Auge: Sie wollen aus dem kleinen Lümmel einen ausgewachsenen hairy potter machen. Die Einführung in die Magie ist keine papierene chymische Hochzeit, sondern eine Metapher für die stufenweise Initiation in die Sitten und Gebräuche der Erwachsenenwelt: In dem Maße, in dem Harry mit seiner eigenen Vorgeschichte vertraut wird, ihm die verschütteten Identitäten seiner Eltern enthüllt werden, wird er zum Mann, um seinen eigenen Kampf zu bestehen.

Nichts davon an unseren Schulen. Unsere Schulsekretärin (deren Festanstellung übrigens durch niemanden an dieser Schule erreicht werden könnte, weil darüber das Schulverwaltungsamt entscheidet) berichtete einmal von einer Klausur zukünftiger Grundschullehrer. Die Mehrzahl dieser angehenden Lehrkräfte hatte ihre Teddys und Plüschtiere auf den Tisch gestellt, um so ihr Examen zu bestehen. Niedlich, gewiss – aber würden Sie von solchen Menschen erwarten, dass man durch sie eines Tages erwachsen wird?

Nicht, weil die Eltern Lehrer automatisch der Welt der Kinder zuordnen, werden Lehrer zumeist nicht ernst genommen, sondern weil sie im Kindergarten des Beamtenstatus stecken geblieben sind: Sie spielen in einer Liga, in der es keine Beckenbauer geben wird, weil Strunz sich zuerst um die A-14-Stelle beworben hat – und sie natürlich auch bekommt. Doch man kann Leistung auch in einer Mannschaft kaufen, indem man die Spieler unterschiedlich bezahlt: In Schweden werden Verträge für Lehrkräfte frei ausgehandelt, so dass sich die Entlohnung um 50 Prozent (!) unterscheiden kann. So etwas überlassen Lehrer lieber „der freien Wirtschaft“ sowie Bayern München – und hassen beide dafür prinzipiell.

Andererseits fehlt es dem Lehrpersonal durchaus nicht an Selbstbewusstein: Die Mehrzahl meiner Kolleginnen und Kollegen ist der festen Auffassung, dass im Unterschied zu ihnen ihre Schüler hoffnungslose Idioten sind, deren Zahl in den letzten Jahren bekanntlich ständig zunimmt. Diese Einsicht ist freilich billig zu haben: Selbst bei bescheidensten Zuwächsen an Lebenserfahrung vergrößert sich im Laufe der Dienstjahre unweigerlich die Kluft zu denen, die zu unterrichten einem zugemutet wird. Dass Schüler blöd sein können, aus bedenklichsten Milieus stammen und sich im Lernen schwer tun, ist jedoch nicht mehr als die geschäftliche Voraussetzung für unseren Beruf: Könnten sie alles von selbst, brauchte es keine Lehrer.

Vor allem an Gymnasien beschränken sich viele bescheiden darauf, vorbildlich gebildet zu sein. Einen typischen Deutschlehrer zum Beispiel erkennt man an der Sprache: jede Feinheit sitzt in seinen kunstvoll aufgeblähten Satzperioden. Bei den Schülern, die er unterrichtet, ist das schon schwieriger auszumachen: Für die meisten von ihnen ist er ungefähr so nützlich wie ein Krankengymnast, der einem Schlaganfallpatienten lediglich vormacht, wie locker und klasse er, der Gesunde, zu laufen imstande ist. Wer da nicht mitmacht, bleibt halt sitzen.

Die Mehrzahl meiner KollegInnen ist der Auffassung, dass ihre Schüler hoffnungslose Idioten sind

Dass der Schüler erst einmal selbst begreifen will, was für ihn wichtig ist, stört eher beim Lehren vorgegebener Begriffe, die dem Schüler wenig sagen. Wozu sollte das alles wichtig sein – außer, man wollte selbst einmal Lehrer werden? Diesen grau gewordenen Primus da an der Tafel zum Vorbild zu nehmen oder wenigstens zum eigenen Gewinn dessen Schwächen zu studieren, wie Harry Potter es tut, dazu gibt es in der Tat meist wenig Anlass: Schließlich ist er ja nur für die Einhaltung von Plänen zuständig und nicht dafür, dass es sich überhaupt lohnt, in dieser Welt groß zu werden.

Seit 25 Jahren unterrichte ich an deutschen Schulen und schäme mich für die Bedingungen, die ich Tag für Tag akzeptiere, um mein Geld in einem Job zu verdienen, den man durchaus besser machen könnte – auch, wenn man kein Zauberer ist.

Wer diese „organisierte Verantwortungslosigkeit“ beenden will, müsste langfristig Folgendes erreichen wollen:

– Schulen, die selbstständig in ihrem Bereich entscheiden können: vom Hausmeister bis zu der Frage, welche Lehrkraft hier nicht mehr unterrichten wird. Schulträger wären nicht die Gemeinden allein, sondern paritätisch alle Betroffenen, vor allem die Eltern.

– Kindergärten, die nicht nur kostenlos und in ausreichender Zahl vorhanden sind, sondern auch verpflichtend für alle Kinder, die sonst zu voraussehbaren Problemfällen werden.

– Bis zum Beweis des Gegenteils wird die einzelne Lehrkraft als kompetente Instanz betrachtet, die selbst zu Entscheidungen in der Lage ist. Die Erziehung zu einem mündigen und qualifizierten Bürger kann man nicht gut von Personen erwarten, denen keinerlei eigene Verantwortung zugestanden wird.

– Eine Ermittlung der Leistungsfähigkeit durch unabhängige Institutionen und gewollte Konkurrenz ist unabdingbar. Systeme sind nur lernfähig, wenn ihr Scheitern auch für sie Folgen hat.

LehrerInnen wollen auf gar keinen Fall als Leute gelten, die mit den Erfordernissen der Welt zu tun haben

– Es nützt der Mehrheit der Bevölkerung überhaupt nichts, weniger Qualifizierte auf Restschulen abzuschieben. Deshalb gibt es zur Gesamtschule keine Alternative.

Erstaunlicherweise sind diese Ziele durchaus nicht verschieden von dem, was etwa Gabriele Behler, die politisch Verantwortliche in Nordrhein-Westfalen, in Interviews formuliert. Es sind eher die Lehrerverbände, die – in der Annahme, ihre Mitglieder interessierten sich ausschließlich für Besitzstandwahrung und sichere Arbeitsplätze – selbst die bescheidensten Ansätze abbremsen und hintertreiben.

Sicher wird die Stellung der Direktoren gestärkt und der Beamtenstatus in Frage gestellt werden. Die Alternative zur selbstständigen staatlichen Schule wäre freilich die Privatisierung: Bei der Post hat zuerst ja auch niemand glauben wollen, dass man eines Tages vom Staat verkauft wird. BERNHARD BECKER

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