Elegant, arrogant und ohne Selbstzweifel

Valéry Giscard d’Estaing wird Präsident des Reformkonvents. Der Freund Helmut Schmidts hat seine föderalistischen EU-Pläne verwässert

PARIS taz ■ Hast du einen Opa, schick ihn nach Europa. In strikter Befolgung dieses Grundsatzes schwankte die politische Spitze Frankreichs zwischen zwei alten Männern als Kandidaten für den Vorsitz des Konvents, der die Grundzüge einer europäischen Verfassung ausarbeiten soll: Valéry Giscard d’Estaing, 75, und Jacques Delors, 76. Letztlich gab die größte „Fähigkeit, zu schaden“, den Ausschlag für d’Estaing. Kräftig unterstützt von Bundeskanzler Schröder, stimmten beim Gipfel in Laeken alle EU-Chefs seiner Wahl zu.

Giscard d’Estaing, 1974 zum jüngster Präsident der V. Republik gewählt, hat nie aufgehört, in der Politik mitzumischen. Zuletzt sorgte er in Paris für Aufregung, als er in diesem Herbst seine mögliche Präsidentschaftskandidatur für das Jahr 2002 in Aussicht stellte. Als „dritter Mann“ hätte der rechtsliberale europäische Föderalist nicht nur Präsident Chirac und Premierminister Jospin Stimmen kosten, sondern auch den beiden bereits deklarierten Präsidentschaftskandidaten aus seiner eigenen Partei, der UDF, schaden können. Sie alle sind nun einen gefährlichen Rivalen los.

In einer ersten Reaktion beschrieb „VGE“ seine Wahl als eine Art historische Unvermeidbarkeit: „Frankreich ist, mit Monet und Schumann, am Ursprung der europäischen Idee.“ Sein Alter hält der künftige Moderator der europäischen Zukunft für unproblematisch: „General de Gaulle war bei seiner Wiederwahl 1965 genauso alt.“ Selbstzweifel sind noch nie die Sache von VGE gewesen. Der stets elegant gekleidete, mit einer raffinierten Sprache und maliziösem Wortwitz ausgestattete Politiker, der schon mit 29 Jahren in die Nationalversammlung einzog, wo er heute immer noch sitzt, steht im Ruf, arrogant zu sein und seine Entscheidungen weitgehend allein zu fällen.

Zum Staatspräsidenten ließ sich VGE mit einem rechten Programm wählen, betrieb jedoch anschließend eine Politik, die die Franzosen als eher sozialdemokratisch in Erinnerung haben. Als erster französischer Nachkriegspräsident stattete er Berlin einen Besuch ab und knüpfte mit Kanzler Schmidt eine Freundschaft, die die beiden bis heute pflegen. Im vergangenen Jahr riefen sie gemeinsam zu einer Reform der EU-Institutionen vor der Osterweiterung auf. Kurz vor dem Ende seiner Amtszeit schien es, als würden die Franzosen VGE eine zweite Chance geben. Dann brachten ihn die Veröffentlichung einer alten Affäre, ein Diamantengeschenk des zentralafrikanischen „Kaisers“ Bokassa und die starke linke Unterstützung für Gegenkandidat François Mitterrand zu Fall. VGE zog sich jedoch nie ganz in die Auvergne zurück, sondern lancierte immer wieder nationale und europäische Projekte.

In Sachen EU-Politik hat VGE, der im Gegensatz zu anderen französischen Politikern früher offen von europäischem Föderalismus sprach, Wasser in seinen Wein gegossen. Heute will er nicht mehr mit Worten wie „föderal“ und „Verfassung“ provozieren, sondern setzt weise auf ebenso breit gespannte wie vage europäische Ziele. „Die Bürger wollen“, sagte er am Wahlabend, „Frieden, Sicherheit, Wohlstand und Toleranz.“

DOROTHEA HAHN