: Staatstragender Häkelschick
Die Doku zur DDR-Houte-Couture glänzt mit Schweiß-Appeal und unglaublichen Originalaufnahmen aus 40 Jahren real existierender Bekleidungsgeschichte („Kann denn Mode rot sein?“, 22.15 Uhr SFB)
von JENNI ZYLKA
„Präsent 20“ heißt der Wunderstoff. Ohne Präsent 20 hätte die Modewelt einiges verpasst. Man könnte allerdings auch sagen, ihr wäre einiges erspart geblieben.
Die synthetische Faser mit dem Schweiß-Appeal ist der Grundstoff für den Großteil der ostdeutschen Kleidungsproduktion in den 60ern und 70ern. Die Reportage „Kann denn Mode rot sein?“ präsentiert Ost-Mode ab Beginn der DDR, und da hat Präsent 20 irgendwo zwischen real existierenden 60er-Miniröcken nach West-Vorbild und schlecht nachgemachten 70er-Trenchcoats seinen Platz. Die Filmemacherin Petra Brändle hat liebevoll und detailgenau O-Töne von ehemaligen Designerinnen, Gestalterinnen, Mode-Journalistinnen, Fotografinnen und prominenten Modeverrückten wie Angelica Domröse mit unglaublichen Originalaufnahmen aus dem Osten verwebt: frustrierende oder nie veröffentlichte Fotostrecken aus der Sybille, dem DDR-Modemagazin, dessen Models nachträglich die Mundwinkel zum Grinsen hochretuschiert wurden („So sehen unsere Bürger nicht aus!“), und Modenschauen mit Modellen, die man nicht kaufen kann – „zu aufwendig für die Massenproduktion“, erklärt die Gestalterin Ilona Leucht. Guten Gewissens tragen können hätte man die ulkig nachgemachte Ost-Haute-Couture eh nicht. Aber staatstragend waren sie. Eine Historikerin erzählt kopfschüttelnd von einer damals geheimen Studie des staatlichen Institus für Marktforschung: Die Tatsache, dass es in den Läden kaum Mode gab, habe sich als gar nicht als so schlimm herausgestellt. Denn immerhin habe das Selbernähen die Frauen davon abgehalten, in ihrer Freizeit frustriert durch leere Geschäfe zu streifen – und sich womöglich Gedanken über das Nicht-Funktionieren des sozialistischen Systems zu machen. Und mit etwas Glück und ein paar Stäbchen kommen sogar ein paar todschicke, selbst gehäkelte Bikinis dabei heraus.
Es habe schließlich alles immer „in Reih und Glied sein sollen“, erzählt auch Dominique Hollenstein, ein Mitglied der Avantgarde-Modegruppe „Allerleirauh“, und so war man als avantgardistische Modemacherin „vor allem dagegen“. Die heutzutage eher rührend 80er-ostig wirkenden Modelle aus Ledergefetze und Fellschnipseln, die von Stars wie Tamara Danz als Bühnenoutfits getragen wurden, waren auch in der Endphase der DDR nur etwas für Mutige. Was man tragen konnte und getragen hat, präsentiert „Kann denn Mode rot sein?“ höchst amüsant und chronologisch durch die vier Jahrzehnte DDR-Bekleidungsgeschichte.
Der Kostümbildner Bert Neumann zeigt aber auch, was man durchaus als Vorteil beurteilen könnte: so ein Anzug aus Synthetik ist quasi unverwüstbar. Da hat sein West-Pendant aus echter Schurwolle keine Chance. Nur das mit dem Geruch könnte dann doch ein Nachteil sein.
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