wo ist die nato?: Bündnis ohne Zweck
Der US-Krieg in Afghanistan geht zu Ende. Verloren hat ihn nicht nur al-Qaida, sondern auch die Nato. Weder am Krieg noch an der UN-Friedenstruppe ist das Bündnis beteiligt. Und das ist schon verwunderlich.
Zur Erinnerung: Am 2. Oktober rief die Nato wegen der Terroranschläge auf New York und Washington erstmals in ihrer Geschichte den Verteidigungsfall aus. Das Bündnis sollte in Aktion treten – nicht wie im Kosovo in einem Krieg, der laut Völkerrecht als Angriffskrieg galt, sondern in ihrer ureigenen Funktion: als Verteidigungsbündnis.
Kommentarvon STEFAN REINECKE
Seitdem ist für die Nato viel passiert – nämlich nichts. Der Bündnisfall gilt noch immer, aber seine Ausrufung war nur eine Pose. Die USA brauchen die Nato nicht – schon im Kosovokrieg war es dem Pentagon lästig, Dänemark oder Belgien über die Auswahl militärischer Ziele informieren zu müssen. Diesmal haben die USA ihre Partner gleich bilateral akquiriert. Klar ist nun: Die Entscheidungen fallen in Washington, nicht in Brüssel.
Der 2. Oktober war also wirklich ein historisches Datum: der Tag, an dem das Ende der Nato begann. Auflösen wird sich das Bündnis nicht. Es wird weiter existieren: verkleinert zu einer Art transatlantischem Kommunikationssystem, geschrumpft zu einem europäischen Regionalpakt, dessen Horizont bis Mazedonien reicht.
Diese Lage ist nicht ohne Ironie. Anfang der 90er war dem Bündnis mit der Sowjetunion misslicherweise auch der Daseinszweck abhanden gekommen. In dieser Krise erfand sich die Nato neu: Sie expandierte nach Osten. In Washington 1999 und im Kosovokrieg wandelte sie sich vom Verteidigungspakt zu einem zweifelhaften, global operierenden Bündnis. Die Nato schien ihren Existenzgrund zu überleben, sie schien immer wichtiger zu werden – sie war für die Ewigkeit konzipiert.
Seit dem 11. September ist diese Ewigkeit zu Ende. Ussama Bin Laden hat erreicht, was in den 90ern viele mit guten, vernünftigen Gründen vergeblich versucht hatten – die Macht der Nato zu beschränken. Damit verblasst auch die Befürchtung, dass die Nato sich in eine Ersatz-UNO und selbst ernannte Weltpolizei verwandelt. Ein Absturz von weit oben nach weit unten. Für Schadenfreude besteht allerdings wenig Grund. Das Bündnis war auch ein Konsensmaschine, ein transatlantisches Rückkopplungsinstrument, das auch als Bremse wirkte. Jetzt schrumpft die Nato – und die Versuchung in den USA, auf eigene Faust zu handeln, wächst.
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