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Anleitung zum Konsumterror

In der Volksbühne wurde aus dem indizierten „Shopping Buch“ für Kinder gelesen

Schon lange habe ich mir abgewöhnt, den zwölften der monatlichen Kontoauszüge noch vor Silvester zu ziehen, weil mir das den Adrenalin-Kick beim Jahresend-Kaufrausch vermiesen könnte. Mittlerweile beherrscht mich zur Weihnachtszeit die Einsicht: im Dezember muss – und darf! – geshoppt werden.

Aus aktuellem Anlass widmete man sich auch am Montagabend in der Volksbühne, im Rahmen der Reihe „Politik und Verbrechen“, dem Leben in unserer heutigen, werbedirigierten Konsumgesellschaft. Mit der Brisanz des Themas wurde man schon an der Eingangstür zum Roten Salon konfrontiert: Achtung! Eintritt nur mit Ausweis (ab 18 Jahre). Dabei sollte es doch eigentlich um die Präsentation eine Kinderbuchs gehen – nur dass „Mein erstes Shopping Buch“ von Judith Wilske und Co-Autor André Erlen seit vergangenem Jahr auf dem Index für jugendgefährdende Schriften steht. Die Anklage lautet: „Aufforderung zu hemmungslosem Konsum“.

Ein Delikt, von dem man bisher gar nicht wusste, dass es existiert. Konsum ein Verbrechen? Dafür wirkten die beiden Autoren auf der Bühne relativ harmlos. Mit aufgesetztem Pokerface, das aber anscheinend nur die wertfreie Rezeption ihres nüchternen Shopping-Ratgebers unterstreichen sollte, lasen die beiden abwechselnd jeden Satz des 16-seitigen Werks aus kinderbuchtypischen beißfesten Pappseiten.

Das Buch soll Kleinkäufern ab drei Jahren helfen, „die ersten Schritte in der Shopping-Welt zu gehen“, und es erläutert, was das Gute am Shoppen, an der Werbung, am Geld und an Produktmarken ist. Mehr noch fordert der Konsumtrainer zum Kauf von neuen Waren im Allgemeinen und Markenartikeln im Speziellen auf. Begründung: Einkaufen macht Spaß und ist noch viel toller, wenn man mit höherem Budget und teureren Klamotten vor den Klassenkameraden protzen kann.

Im Kreuzfeuer der Kritik stand bei der Bundesprüfstelle ebenso wie im durchwachsenen Publikum vor allem die im Buch angeführte Argumentationshilfe zur Erhöhung des Taschengeldes. Wilske schlägt vor, den Eltern zu drohen, sonst mit dem Klauen anzufangen. Spätestens hier muss die pädagogisch anspruchsvolle Seele revoltieren: Provokative Intervention hin, Ironie her, aber das könne man doch beim besten Willen keinem Kleinkind vorlesen.

Zugegeben, „Mein erstes Shopping Buch“ ist eine dreiste, durchaus irritierende Lektüre. Provokation ohne die übliche Doppelmoral. Aber ist vielleicht gerade diese radikale Bejahung des Kaufrausches für uns werbekonditionierte Otto Normalverbraucher zu unverfroren aufrichtig? Das würde bedeuten, dass nicht nur Kinderkonsum ein Tabu ist, sondern „Shopping“ allgemein als Kulturtechnik des Kapitalismus noch immer verpönt und Markenbewusstsein lediglich unter dem Deckmantel gehobenerer Qualität legitim wird. Nur im vorweihnachtlichen Geschenke-Kauf-Stress scheint sich jeder für kurze Zeit im hemmungslosen Konsumrausch tummeln zu dürfen. Wobei auch dieser Tage wieder die goldene Regel gilt: „Merke! Es ist besser, viel Geld zu haben.“

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