: „Er schien mir Lichtjahre entfernt“
Gilbert Bécaud hat den Deutschen Frankreich näher gebracht. Sein Manager Hans R. Beierlein erinnert sich
taz: Sie haben Gilbert Bécaud Anfang der Sechzigerjahre nach Deutschland importiert. Warum gerade ihn?
Hans R. Beierlein: Meine Nähe zu Frankreich war schon immer groß. Das Land kam mir gerade in den Fünfzigerjahren lebensfroher und leichter vor als Deutschland. Im „Olympia“, damals das Mekka des internationalen Showbusiness, sah ich nicht nur Gilbert Bécaud, aber er fiel mir am stärksten auf. Seine Präsenz auf der Bühne war einfach umwerfend. Ich dachte, mit dem werde ich meinen Landsleuten im Unterhaltungsbereich Gelegenheit geben, etwas Nachhilfe zu nehmen. Bécaud schien mir Lichtjahre von dem entfernt, was im deutschen Unterhaltungsbereich gängig ist.
Aber das hätte ja bedeuten müssen, ihn und seine Kollegen den Deutschen nicht näher zu bringen.
Ich habe es immer für ein Vorurteil gehalten, dass die Deutschen für Qualität nicht empfänglich sind. Bécaud, das hatte ich im Gefühl, würde einer sein, der auch in Deutschland ankommt. Und bei dieser Gelegenheit würden auch deutsche Sänger, Komponisten und Texter etwas dazulernen. Zum Beispiel, dass Vico Torriani und Gerhard Wendland nicht das Maß aller Dinge sind.
Bécauds größter Erfolg in Deutschland war „Nathalie“ – ein Chanson über eine tragische Liebe in Moskau.
Ein Chanson, wie man es erwartet – und grandios durch Bécauds Interpretation. In der Bundesrepublik wurde ja damals Russland überhaupt nicht wahrgenommen oder nur als Land von Politruks und Apparatschiks. Und Bécaud sang von normalen Menschen in einer normalen Stadt – das war die Sensation auch in Deutschland. Auffallend war für mich überhaupt, dass die Franzosen in ihren Liedern alltägliche Dinge besingen, sogar mit schwierigen Worten wie „Oktoberrevolution“ und „Roter Platz“.
Gilbert Bécaud als musikalischer Entwicklungshelfer einer aufs Schunkeln abonnierten Nation?
In gewisser Weise ja. Künstler aus England, Amerika oder Italien – sie hatten es in Deutschland nie schwer. Aber Franzosen? Damals fuhr man noch nicht an die Côte d’Azur oder in die Bretagne in den Urlaub und trank Champagner. Frankreich war, geschichtlich bedingt, der fernste Nachbar Deutschlands. Ohne Bécaud hätte Ende der Sechzigerjahre eine Alexandra nicht ihren Weg gehen können, ohne ihn wäre es mit den deutschen Liedermachern um Reinhard Mey auch nicht so gut bestellt gewesen.
Und die Karriere von Udo Jürgens, der von Ihnen „erfundenen“ Alternative zum deutschen Heiterkeitsschlager?
Ohne Bécaud fast undenkbar. Udo habe ich mehrmals nach Frankreich mitgenommen. Der saß dann mit mir im „Olympia“ wie in einer Bildungsstätte und war erstaunt, dass das geht: schauspielern, singen, reden, tanzen. Es wäre viel schwerer gewesen, einen Udo Jürgens – der sich ja vom deutschen Schlager deutlich abhob – zu etablieren. Wir verlieren mit ihm einen der größten Künstler der Nachkriegszeit. INTERVIEW: JAF
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