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Versuch über den Jahresendfisch

■ Medikament, Sparringspartner, Anlass für eine gute Senfsoße: Was ist er eigentlich, der klassische„saisonale Fischartikel“, der Karpfen? Eine öko-biographische Betrachtung

Cyprinus carpio gilt seit jeher als wohlschmeckend gilt und auch in der einschlägigen Literatur genießt der Karpfen durchaus attraktive Auftritte (Elsässer Art, in süß-saurer Senfcreme, Burgunderkarpfen etc.). Fest steht, dass er alle Jahre wieder pünktlich Ende Dezember als saisonaler „Fischartikel“ in den Prospekten der Supermärkte auftaucht: geschlachtet, schlaff, mit ein paar Zitronenscheiben garniert, Kilopreis: 9,99 Mark. Der Karpfen ist seit Jahrhunderten so etwas wie der Ackergaul der heimischen Fischwirtschaft. Allein die Bayern sollen rund 6.500 Tonnen jährlich auf den Markt werfen – die Hälfte der teutonischen Jahreskarpfenproduktion.

Esst Karpfen, Leute!

Die Bayern behaupten auch, dass der Karpfen die Menschen gesund mache: Sein Fleisch sei wegen des hohen Gehalts an mehrfach ungesättigten Fettsäuren besonders zur Prophylaxe und Therapie von Herz-Kreislauf-Erkrankungen geeignet. Und kleine Kinder werden schlauer davon! Das hat eine Staatssekretärin, deren Namen wir der Pietät halber verschweigen, wirklich gesagt. Bildungsnotstand, Krise des Gesundheitswesens: Passé! Esst Karpfen, Leute! Oder besser: Nehmt ihn ein.

Es gibt allerdings auch Menschen, die da ganz anderer Meinung sind: Tierrechtler etwa, die sagen, dass der Karpfen der Gegenwart ein in Massenproduktion erzeugtes Lebewesen sei, wie eine Kuh etwa oder ein Schwein, dem der massige Fisch physiognomisch ja auch irgendwie ähnelt. Und weil der Karpfen manchen Technokraten und/oder Wissenschaftlern nicht schnell genug wächst, habe man ihm versuchsweise sogar – wie anderen Zuchtfischen bereits auch – menschliche Wachstumsgene eingepflanzt. Ergebnis ist der Turbokarpfen, der potenziell sage und schreibe 13 mal schwerer werden kann als sein natürlicher Bruder. Das behaupten zumindest kritische Karpfenrechtler.

Wesen mit Exotenstatus

Nun gibt es gewiss Unterschiede zwischen Zuchtteichbewohnern, die noch ein relativ kommodes Dasein führen, und den auf Hochleistung getrimmten Insassen industrieller Aquakulturen. Doch was der Fisch auf dem Tisch im Laufe seines Lebens eventuell an Medikamenten und karpfenunüblichem Futter inkorporiert hat, dürfte den meisten Fischessern völlig schleierhaft sein. Um diesen Zustand zu beenden, haben ökologische Landbauverbände wie Naturland vor einiger Zeit Richtlinien auch in Sachen Karpfenzucht herausgegeben, was bemerkenswert ist, weil Fisch ökoladenmäßig noch immer Exotenstatus besitzt. Also: Ser zertifizierte Fisch ernährt sich wie sein späterer Konsument auch ökologisch völlig korrekt – drei Jahre lang 50 Prozent Kleinkrebse, Larven, Algen und anderes Naturfutter, 50 Prozent Getreide oder Kartoffeln aus garantiert ökologischer Produktion. Wo und auf welchem Weg man Öko-Karpfen in Bremen beziehen kann, verraten einem – vielleicht – der eigene Händler oder Verbände wie Naturland oder Demeter. Oder das Internet. (Lassen Sie sich überraschen, was Sie unter dem Stichwort „Karpfen“ alles finden werden!)

Friedliche Glubscher

Persönliche Karpfen-Homepages zum Beispiel, von Sportfischern, die genau das tun, was ihre Tätigkeitsbezeichnung ihnen aufzugeben scheint: Sie machen Sport mit Fischen. Nun habe ich wirklich nichts dagegen, Fische zu fangen und sie anschließend zu töten, auch wenn sie einen derart PAZIFISCHTISCH anglubschen, wie es die Karpfen normalerweise tun.

Oder sie wieder schwimmen zu lassen, weil sie noch zu klein sind und noch nie Liebe gemacht haben, sofern man das bei Fischen so sagen kann.

Düsende Freaks

Doch wenn man sich die Fachperiodika vornimmt, erkennt man schnell, dass der moderne Karpfen einer ganz neuen Gefahr ausgesetzt ist: dem Großwildjäger! Und das ist nicht automatisch so ein feister, zufriedener Typ, der seiner Beute verblüffend ähnelt und eigentlich ganz friedfertig ist – nein, hier geht es um kernige Jungmänner, die mit hochmoderner Elektronik und anderem sauteuren Gerät an den Baggersee ziehen, und bei denen selbst noch die Badehose flecktarn trägt. Diese Freaks düsen quer durch Europa, um gezielt zwanzig, dreißig, vierzig Pfund schwere „Schuppis“ (liebevoll für Schuppenkarpfen) an Land zu ziehen. Wohlgemerkt: Um sie dann, mit bestem Gewissen, wieder schwimmen zu lassen.

Es wurden sogar spezielle Unterlagen entwickelt, damit sich die Tiere beim Hakenentfernen/Fotografieren nicht verletzen. Nun kann man ja sagen: für den Karpfensenior, der in diesem Alter ohnehin alles andere als lecker schmeckt, ist es ja schön, noch ein bisschen weiterzuleben. Aber irgendwie sinnlos wirkt dieses spezielle Treiben schon, auch wenn Angeln AN SICH viel Spaß macht und es hier nur um eine Minderheit von Sportfischern geht – die Fischereigegnern indes jede Menge Munition liefern.

Sex im Grünen

Sie sehen also – Karpfen-Sein ist riskant, ob im Zuchtteich oder in der Freiheit weiter Wasser. Ganz klar: Was fehlt, insbesondere vor Weihnachten, ist die Besinnung auf eine echte Karpfen-Ethik. Dieses ständige Gerede von den Delphinen! Bruder Karpfen, heißt die Losung! Du lebst so gern im Frieden, im Sommer sonnst Du Dich am liebsten, im Winter bist Du müde, Du isst gern und gut, bis Du im Alter immer dicker wirst, und Sex im Grünen ist für Dich das Größte! Du bist einer von uns! Genosse! Frohes Fest, Friedfisch! Milko Haase

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