: Die Höchste
Fernsehturm am Alexanderplatz, Stockwerk unbekannt, etwa 250 Meter über der Stadt, Lufttemperatur: eisig
So wie Torsten Brinkmann, Objektmanager des Fernsehturms, die Hände in die Taschen seiner abgewetzten, braunen Lederjacke rammt, so redet er auch. Unnahbar, knapp, trotzdem immer höflich. Wie oft fahren Sie hier hoch? „Einmal pro Woche.“ Warum? „Wegen Wartungsarbeiten.“
Dabei sind die Voraussetzungen für einen vertrauten Dialog so gut wie selten. Schließlich berühren sich unsere Nasen fast in dieser engen Stahlkabine, Seriennummer 60002, die uns 223,78 Meter gen Himmel reißt. In jeder Sekunde gewinnen wir die Höhe eines Einfamilienhauses. Dann geht es zu Fuß und per Hand weiter, noch höher. Mit knackendem Trommelfell steigen wir erst durch einen bundeswehrgrünen Treppenschlauch, dann eine schmale Leiter hoch, schließlich sind wir da. In einem zugigen Raum, voll gestopft mit Koaxial- und anderen Kabeln und – vor der höchsten Tür Berlins.
Eine niedrige Stahlluke, wie es sie in U-Booten gibt, darauf ein gelbes Schild mit stilisiertem Sendeturm. Über unseren Köpfen tobt ein Gewitter elektromagnetischer Strahlen, 17 analoge Radio-, sieben Fernsehsender strahlen in die Stadt. „Natürlich nicht auf dieser Ebene, auf der sich noch Techniker bewegen“, sagt Herr Brinkmann, dreht den armlangen Eisenriegel nach rechts und dann schauen wir mitten in die Wolken.
Von so weit oben sieht die Stadt pastellfarben und unwirklich aus, irgendwo weit weg mischen sich die Straßenzeilen mit dem weißlichen Waschtrommelhimmel. Den Kopf zwischen die Schultern ziehen, ein Schritt über die orangefarbene, schneebestäubte Schwelle, und man steht nur wenige Stufen über der Arbeitsplattform aus reißfestem Beton. An einem Eisengeländer hat sich zentimeterdick klares Eis über Rostflecken gebildet, sonst kämmt der Wind überall die Schneekristalle in eine Richtung. „Auch wenn unten Flaute herrscht – hier oben ist immer volles Ballett“, sagt Brinkmann.
Beugt man sich über die hüfthohe Plattformbegrenzung, schwebt darunter die silberne Alexkugel wie ein riesiges UFO über dem schuhkartongroßen Rathaus und scheint sich auf die kriechenden Autos hinabzusenken, die ein Fingernagel verdecken kann. Lieber einen Schritt zurück. Herr Brinkmann, dieser Blick – bleiben Sie manchmal stehen, schauen einfach nur? „Ab und zu schon“, sagt er. Wir steigen wieder ein, er klappt die Himmelstür von innen zu und der Wind, drei Grad kälter als am Boden, kümmert sich um unsere Spuren im Schnee. US
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