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Kein Geld, keine Regierung

Nach tagelangen Unruhen im ganzen Land angesichts des bankrotten Finanzsystems tritt Argentiniens Präsident Fernando de la Rúa zurück. Jetzt sind zunächst die oppositionellen Peronisten am Zuge. Ob es vorgezogene Neuwahlen gibt, ist noch unklar

aus Buenos Aires INGO MALCHER

Es war kurz vor acht Uhr am Donnerstagabend, als ein weißer Hubschrauber vom Dach des argentinischen Präsidentenpalasts Casa Rosada abhob. An Bord: der soeben zurückgetretene Präsident Fernando de la Rúa.

Den ganzen Tag über hatten sich auf der gegenüber dem Präsidentenpalast gelegenen Plaza de Mayo tausende von Demonstranten blutige Straßenschlachten mit der Polizei geliefert. Dabei soll es nach Zeitungsmeldungen fünf Tote gegeben haben. Seit Beginn der Unruhen sind damit mindestens 22 Menschen ums Leben gekommen. Im ganzen Land wurden 2.000 Festnahmen gemeldet.

Nach de la Rúas Rücktritt beruhigte sich die Lage, doch das Zentrum von Buenos Aires bot ein Bild der Zerstörung: Mehrere Banken, Privatpostfilialen und Fast-Food-Restaurants waren ausgebrannt, qualmende Autowracks standen an Straßenkreuzungen. An neuralgischen Punkten wurde berittene Polizei positioniert, bewaffnet mit Gummigeschossen und Tränengasgranaten, um jeglichen Aufstand sofort zu unterdrücken.

Ausschlaggebend für de la Rúas Rücktritt war das Scheitern seines Plans einer Regierung der nationalen Einheit, bei der er auch die oppositionelle Justizialistische Partei (PJ) der Peronisten mit einbeziehen wollte. Noch am Nachmittag wandte sich de la Rúa in einer Fernsehansprache weniger an die Bevölkerung als an den politischen Gegner und warb für den Aufbau einer parteiübergreifenden Regierung. Doch die Peronisten ließen ihn bewusst auflaufen, was schließlich seinen Sturz besiegelte. In seinem kurzen, handschriftlich verfassten Rücktrittsbrief schrieb er: „Meine Botschaft von heute mit dem Ziel, die Regierbarkeit zu sichern und eine Regierung der nationalen Einheit aufzubauen, wurde abgelehnt.“ Daher bleibe ihm nur noch der Rücktritt.

Ironie der Geschichte: Da de la Rúas Partei, die Radikale Bürgerunion (UCR), bei den Parlamentswahlen im Oktober eine herbe Niederlage hat einstecken müssen, kommen jetzt die Peronisten wieder an die Regierung. Laut Verfassung muss der Senatspräsident im Falle des Rücktritts des Präsidenten Senat und Parlament einberufen, damit die beiden Kammern einen der ihren zum Präsidenten bestimmen; in beiden Kammern haben die Peronisten eine Mehrheit. Damit wird der Peronist Ramón Puerta als Interimspräsident vorübergehend die Amtsgeschäfte leiten.

Die Frage, ob Neuwahlen ausgerufen werden müssen, ist noch strittig. Der Verfassungsrechtler Miguel Padilla sieht keine andere Möglichkeit: „Da noch zwei Jahre Amtszeit bevorstehen, ist es nötig Neuwahlen auszurufen, da der Präsident vom Volk gewählt werden muss und nicht von nur 300 Abgeordneten“, sagt er. Die Peronisten sind von der Idee Neuwahlen einzuberufen nicht besonders begeistert, da sie durch ihre stabile Parlamentsmehrheit jetzt sehr elegant die Regierung an sich reißen könnten. Aber noch haben sie sich nicht entschieden – Machtkämpfe möglicher zukünftiger Präsidentschaftskandidaten bestimmen die Diskussion.

Auch über ihre wirtschaftspolitischen Vorstellungen behalten die Peronisten Stillschweigen. „Nein, ich kann dazu jetzt nichts sagen“, war die Antwort des farblosen Puerta, als er in einer Fernsehsendung dazu befragt wurde. Intern kursiert bereits ein Papier, in dem ein Notprogramm für die sozial Schwächsten und Nahrungsmittelverteilungen geplant sind.

Der wohl strittigste Punkt in dem Papier ist die geplante Abwertung des argentinischen Peso. Seit 1991 ist der Peso an den US-Dollar gekoppelt. Um die internen Preise zu senken und das Wachstum anzukurbeln planen die Peronisten offenbar den Wechselkurs freizugeben und zuvor die Schulden der privaten Haushalte von Dollar in Peso umzuwandeln, was viele Familien vor der finanziellen Katastrophe bewahren würde. Noch sind die peronistischen Pläne nur Papier und sehr unausgegoren. Den Praxistest müssen sie erst noch bestehen – wenn es denn dazu kommt.

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