Mit Weihnachtsengeln überleben

Das Erzgebirge ist berühmt für sein Kunsthandwerk. Hölzerne Engel und verzierte Kerzenständer erzielen allerdings so geringe Marktpreise, dass die Beschäftigten kaum mehr als neun Mark pro Stunde verdienen – ein Erbe aus DDR-Zeiten

aus Seiffen MARIUS ZIPPE

Das Dröhnen von Motoren wird schlagartig lauter, als Jörg Franke die Eingangstüre zur Drechselwerkstatt öffnet. Der Boden vibriert. Eine Frau mit Strickjacke und Schürze bearbeitet sehr kleine Kugeln an einer kreischenden Säge. Daneben poliert ein Mann an der Schleifmaschine spindelartige Holzteile. Stück für Stück nehmen die Handwerker die Rohlinge aus einem Karton: später werden sie zu Lichterengeln zusammengesetzt. Jörg Franke stellt in seiner Firma erzgebirgischen Weihnachtsschmuck her: Bergmannkapellen, Schwibbögen, kleine Schaukelpferde, auch Seiffener Reiterlein genannt.

77 Prozent aller Bundesbürger kennen die typisch erzgebirgischen Weihnachtsfiguren. Das ermittelte eine aktuelle Studie des Verbands Erzgebirgischer Kunsthandwerker und Spielzeughersteller (VEKS). Frankes Betrieb ist einer von etwa hundert im erzgebirgischen Seiffen, in denen die populäre Holzkunst hergestellt wird. Der 37-Jährige übernahm die Firma „Johannes Ulbricht“ im vergangenen Jahr in fünfter Generation von seinem Schwiegervater. Er schwört auf seine sechzig bis siebzig Jahre alten Maschinen, an denen die Holzteile mit der Hand geführt werden müssen.

Vor den Fenstern der Werkstatt türmen sich im Hof große Holzstapel. Zwei bis drei Jahre muss das Holz trocknen, bis es geschmeidig genug ist. Die getrockneten Bohlen schneidet Franke zunächst in schmalere Vierkanthölzer, rundet sie dann auf der Drechselmaschine zu walzenförmigen Teilen ab, die er zu Beinen, Armen oder Köpfen formt. Später werden die Teile poliert und geleimt. In Tauchbädern bekommen sie ihre Farbe. Die Details aber, wie Gesichter, Haare, Knöpfe oder Verzierungen tragen Malerinnen mit feinen Pinseln auf.

Dass diese Handarbeit teurer als industrielle Herstellung ist, spüren die erzgebirgischen Holzkunsthersteller schmerzlich. Die kleinen Firmen stecken in dem Dilemma zwischen hohen Arbeitskosten und niedrigen Handelspreisen, die noch ein Erbe der DDR sind. „Wir haben damals für Devisen vorwiegend in den Westen geliefert und das zum Teil für ein Viertel des Ostpreises. Seit 1990 rennen wir den Preisen hinterher“, so VEKS-Geschäftsführer Uhlmann.

Das große Lichterpaar verkauft Jörg Franke für 65 Mark. Eine Serie von hundert Stück braucht eine Woche. Die Zeche zahlen die Beschäftigten mit niedrigen Löhnen. Franke zahlt seinen Angestellten „acht, neun“ Mark. Die Schwiegereltern und eine weitere Rentnerin beschäftigt er auf 630-Mark-Basis. Würde er das Geld, das er sich selbst zahlt in einen Stundenlohn umrechnen, „kommen da vielleicht drei oder vier Mark raus“. Aber bei Arbeitslosenraten im Erzgebirge bis zu dreißig Prozent, sind viele Seiffener froh, dass es überhaupt etwas zu tun gibt.

Etwa die Hälfte der 1.300 Erwerbstätigen im Ort arbeitet im Kunsthandwerk. Schauwerkstätten, das Spielzeugmuseum und Holzkunstläden ziehen jedes Jahr etwa 750.000 Besucher an. In den fetten Jahren nach der Wende wuchs der Umsatz der Holzspielzeughersteller jedes Jahr zweistellig, 1999 und 2000 noch jeweils sechs Prozent. Doch in diesem Jahr deutet sich ein Verkaufsrückgang an und VEKS-Geschäftsführer Dieter Uhlmann spricht von einem „Abbruch der positiven Entwicklung“. Es ist ungewiss, ob die 96 Millionen Mark Jahresumsatz der Verbandsfirmen vom vergangenen Jahr wieder erreicht werden, denn die Kauflust der Kunden ist „verhalten“.

Viel Staub hat im Erzgebirge die Billigkonkurrenz aufgewirbelt. 1997 kam eine Kundin der Firma mit einem Foto in die Werkstatt. Darauf ein typisch Ulbricht’scher Schwibbogen in einem Baumarkt. Der Betrieb hatte aber niemals an Baumärkte geliefert. Vor dem Landgericht Leipzig strengte Frankes Schwiegervater erfolgreich einen Prozess wegen Plagierung gegen ein Bielefelder Handelsunternehmen an, das die Pseudovolkskunst vertrieb. Danach mussten die Schwibbögen aus den Baumarktregalen geräumt werden.