: Zarte Wellen in der Savanne
Zwischen Entwurzelung, Verweigerung und Assimilation: Caroline Link verfilmt Stefanie Zweigs autobiografischen Roman „Nirgendwo in Afrika“ – und entkommt den rührseligen Exil-Klischees
von THOMAS WINKLER
Tanja Blixen ist schuld. Und Meryl Streep und Robert Redford. Nie wieder wird man seit Sydney Pollaks „Jenseits von Afrika“ eine Kamera unbefangen schwenken können über die weite afrikanische Savanne, nie mehr einem Löwen durchs Unterholz folgen können. Noch bevor die erste Antilope durchs Bild hüpft, toben bereits die Klischees vom schwarzen Kontinent durch den Kopf.
Caroline Link hat es trotzdem gewagt, „Nirgendwo in Afrika“ zu verfilmen. In ihrem autobiografischen Roman beschreibt Stefanie Zweig das Schicksal ihrer Familie, die 1938 aus dem „dunklen Ort“, in den sich Deutschland verwandelt hatte, vor den Nazis nach Kenia fliehen muss. Während die Tochter Regina irgendwann die schweren, nur für den deutschen Winter geeigneten Stiefel ablegt und die nackten Zehen in die braune Erde taucht, werden die Eltern dort nie richtig ankommen. Für die Tochter wird Deutschland irgendwann zu dem Ort aus einem Heinrich-Heine-Gedicht, zum Land, in dem Tanten Lisel heißen und wo im Schulbuch steht, dass „die Afrikaner Hunde und Heuschrecken essen“.
Der Vater Walter aber, eigentlich Rechtsanwalt, schlägt sich als schlecht bezahlter Verwalter von Farmen durch, für die Mutter Jettel, Tochter aus gutem Hause, ist das archaische Leben ohne jeden Luxus nur schwer zu ertragen. Anstatt das Meißener Porzellan zu Hause zu lassen und einen Kühlschrank mitzubringen, wie Walter ihr schrieb, kauft sie von ihrem letzten Geld ein Abendkleid, dem sich nie eine Gelegenheit zum Einsatz bieten wird. Die englischen Kolonialherren machen den deutschen Juden klar, dass sie hier nur geduldet sind, die Afrikaner begucken sich die Aushilfsausbeuter eher belustigt als interessiert. Auch wenn Walter später in der britischen Armee für die Alliierten kämpft und selbst Jettel sich immer mehr einlässt auf das fremde Land, schließlich sogar mit ihrer Tochter an einem Ritual der Einheimischen teilnimmt – Afrika wird dennoch nie zur Heimat für die Redlichs.
Den überkommenen afrikanischen Bildern versucht Link zu entkommen, indem sie den Blick des Kindes adaptiert. Auch wenn sie sich hier nicht so entschieden auf diese Methode stützt, die sie schon in „Jenseits der Stille“ wählte, um von vornherein die Klischees über Behinderte auszuhebeln. Die Kamera von Gernot Roll versucht mit allen Mitteln, sich nicht allzu sehr der Landschaftsmalerei hinzugeben, wie sie seit den Tagen von Grzimek unser Afrikabild beherrscht. Stattdessen verlässt sich die Inszenierung ganz auf die wie ein fernes Echo in die Handlung hineinhallende Historie und auf die Schauspieler. Da sind die markigen, von Enttäuschung und Einsamkeit erzählenden Furchen in den Wangen von Matthias Habich und die leicht deplatzierten zarten Wellen im Haar von Juliane Köhler. So entsteht eine stimmige Bewegung zwischen Entwurzelung, Verweigerung und Assimilation, die niemals Gefahr läuft, rührselige Exil-Klischees zu bedienen.
Fremd zu sein in einem fremden Land und fremd zu bleiben, das ist nicht exotisch oder aufregend, sondern vor allem die Mühsal des Überlebens. Geradezu unheimlich ist vor allem das Geflecht aus mannigfaltigen Diskriminierungen, das Link entwirft. Zwischen Engländern und Flüchtlingen, Juden und Nichtjuden, praktizierenden Juden und nicht praktizierenden, Weißen und Afrikanern, Frauen und Männern entstehen selten Freundschaften, sondern vor allem Beziehungen, die von Abhängigkeiten und Machtverhältnissen bestimmt sind.
Die Komplexität des Buches versucht Link in den Griff zu bekommen, indem sie das Auf und Ab der Liebe zwischen Jettel und Walter in den Mittelpunkt rückt. Aber fast scheint es, als wollte sie zu viel erzählen. Imer wieder bleiben die Motivationen der Figuren unverständlich, werden Brüche sichtbar, als wären wertvolle Übergänge auf dem Boden des Schneideraums geblieben. So fehlt diesem aus vielen interessanten Teilen bestehenden Projekt letztlich die Selbstsicherheit, genau das erreicht zu haben, was man wollte.
„Nirgendwo in Afrika“. Regie: Caroline Link. Mit Juliane Köhler, Merab Ninidze, Matthias Habich, Sidede Onyulo, Deutschland 2001
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