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„Die Antragsteller brauchen Hilfe“

Ende des Jahres läuft die Antragsfrist für die Zwangsarbeiterentschädigung ab. Sie sollte verlängert werden, fordert Deidre Berger vom American Jewish Committee. Viele AntragstellerInnen finden sich mit der komplizierten Prozedur nicht zurecht

taz: Wieviele frühere Zwangsarbeiter werden keine Entschädigung erhalten, weil sie keine Nachweise über ihre Arbeit liefern können?

Deidre Berger: Es wird leider eine sehr hohe Zahl sein, wohl einige Hunderttausend. Das Beschaffen eines Nachweises ist sehr schwierig. Auch das Antragsformular ist sehr kompliziert. Viele alte Leute haben keinerlei Nachweise. Ohne größere Anstrengungen von außen werden sie kaum Anträge stellen können.

Die Frist endet aber zum Ende des Jahres.

Die Frist wurde jetzt schon mehrere Male verlängert. Das kann man durchaus nochmal machen. Aber es geht nicht nur um die Frist. Die Antragsteller brauchen Hilfe für ihre Beweise – und das wird länger dauern. Es ist auch zu fragen, wieviele Details man für die Nachweise braucht. Wenn es zu schwierig wird mit der Beweislage, hoffe ich, dass die Stiftung ein Nachsehen hat, dass vielleicht ein anderer Grad an Nachweis möglich wäre, um den Leuten zu helfen, bevor sie sterben.

Lothar Evers von der Beratungsstelle für NS-Verfolgte hat als Kuratoriumsmitglied gegen die Stiftungsinitiative geklagt, weil sie nur 100 Millionen Mark an Zinsen überweisen will. War das richtig?

Was schwierig ist, ist der Mangel an Transparenz in der Stiftung. Die Öffentlichkeit weiß nicht, was an Geldern angekommen ist, wie sie angelegt wurden, was der Zinsertrag war. Da kann man schon fragen: Es ist eine öffentliche Stiftung – wieso weiß man das nicht? Die Stiftung muss sich fragen, was bei ihr nicht stimmt, wenn ihre eigenen Kuratoriumsmitglieder klagen. Da muss etwas in der Kommunikation falsch laufen.

Die Stiftung vertritt die Rechtsauffassung, dass sie nicht mehr zahlen muss, als 100 Millionen Mark.

Im Vertrag heißt es, dass 100 Millionen Mark das Minimum sind. Ein Minimum ist nicht ein Maximum.

Interessiert die deutsche Öffentlichkeit das Thema „Zwangsarbeit“ überhaupt noch?

Leider herrscht die Meinung: Es wird ausgezahlt, jetzt können wir das Kapitel abschließen. Und das ist falsch, wie man an den Klagen sieht. Jetzt muss man etwa auch über den Zukunftsfonds reden. Auch darüber regt die Stiftung keine öffentliche Debatte an. Jetzt reichen Organisationen Anträge ein, ohne das Profil des Zukunftsfonds zu kennen. Das ist auch das Gegenteil von Transparenz.

Viele Opferorganisationen klagen, dass durch die Ratenzahlung weitere Zeit vertan wird: Bevor die zweite Rate eintrifft, werden wieder viele der Empfänger verstorben sein. Wie stehen Sie dazu?

Die Konstruktion des Abkommens sollte man nicht wieder in Frage stellen. Tatsächlich kann man durch die Ratenzahlung die Geldmenge, die ja endlich ist, besser steuern. Für wichtiger halte ich, den Standard für die Nachweise nicht so hoch anzulegen, so dass alle schnell etwas bekommen können.

Unter den Empfängern der Gelder hat es, so klagt eine russische Organisation, statt Versöhnung viel mehr Neid und Streit gegeben. Bleibt bei der ganzen Aktion auf allen Seiten eher ein unglückliches Gefühl zurück?

In vielen Ländern ist dieses Geld sehr viel wert. Dass es da Missgunst gibt, halte ich für normal. Dies sind vorübergehende Erscheinungen. Die Zahlungen sind eine späte Entschädigung für geleistete Arbeit. Sie sind eine moralische Anerkennung des Unrechts, das den Opfern widerfahren ist. Die Spuren, die diese Art von Versöhnung hinterläßt, werden viel länger halten. Die größere Gefahr sehe ich in den Ressentiments, die hier in Deutschland geschürt wurden. Das berührte alte antisemitische Klischees: Die Juden wollen nur Geld. Oft wird übersehen, dass überhaupt nur 5 bis 10 Prozent der Opfer Juden sind. Auch die Jewish Claims Conference, die nun immer als Moloch wahrgenommen wird, ist auf Wunsch der Bundesrepublik entstanden, das wird gerne vergessen. Man wollte bequemerweise einen zentralen Ansprechpartner haben. Trotzdem wurden diese Ressentiments geschürt. Man kann nur hoffen, dass das Kapitel Zwangsarbeiter beendet wird, ohne dass es zu offenem Antisemitismus führt. INTERVIEW: PHILIPP GESSLER, HEIDE OESTREICH

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