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Die Bäckerei der Superlative

Europas größter Backbetrieb, die Kamps AG, greift mit einer neuen Fabrik die Bäckerfilialen in Supermärkten an

BERLIN taz ■ Zwei Millionen Brötchen am Tag. Die werden in der brandneuen Produktionsstätte der Kamps AG im westfälischen Lünen vom Fließband rutschen, begleitet von verschiedenen anderen Gebäck- und Brotsorten. Und zwar noch ungebacken, als so genannte Teiglinge, schockgefrostet. Die neue Riesenhalle ist Europas größtes Tiefkühlwerk für Backwaren und das größte gewerbliche Bauprojekt, das es je in der Region gegeben hat. Aber Kamps ist ja auch der größte Backbetrieb Europas.

Kamps hat zwei Gesichter. Da ist die Kette mit rund 1.200 eigenen deutschen Bäckereifilialen unter dem Namen Kamps, die Bäckermeister Heiner Kamps in wenigen Jahren aufgebaut und an die Börse gebracht hat. Und da sind industrielle Großbäckereien, die sich die Kamps AG einverleibt hat, allen voran Wendeln mit seinen Marken „Lieken Urkorn“ und „Golden Toast“. Das Tiefkühlwerk gehört zur „Wendeln Brot West GmbH“.

Zwei Millionen tiefgekühlte Brötchen. Sie werden durch ganz Deutschland gefahren und an Supermärkte mit eigenen Backstationen geliefert. Dann nach Bedarf direkt im Markt gebacken und in Plexiglas-Behältern angeboten – zwischen den anderen Waren und nicht in einer Filiale eines örtlichen Bäckers am Eingang des Supermarktes. Knusprig, vielleicht noch warm, die Schrippe zu 29 Pfennig.

Dass die Brötchen frisch und billig sind, ist für den Kunden erfreulich – für den Bäcker vor Ort weniger. Er verliert seine Trumpfkarte: Früher konnte nur er frisch gebackene Brötchen und Brote bieten. Das ist vorbei.

Trotzdem werden die deutschen Bäckermeister den Produktionsstart in Lünen, der mit zunächst einer Bandstraße in diesen Tagen über die Bühne gehen soll, voraussichtlich kaum zur Kenntnis nehmen. Denn zunächst wird sich nicht viel ändern. 1.600 so genannte Bake-off-Stationen beliefert Kamps heute schon, und sein Mitbewerber Harry-Brot, Deutschlands zweitgrößter Industriebäcker, hat mit rund 3.000 Backstationen sogar die Nase vorn. Doch die Kamps AG hat wohl kaum 60 Millionen Mark in das gigantische Tiefkühlwerk investiert, um den Status quo zu halten.

Gleichwohl: „Wir treiben keinen Dorfbäcker in den Ruin“, betont Kamps-Sprecher Volker Berg. Aber den größten Teil des Umsatzes, vor allem aber des Gewinnes, machen handwerkliche Bäckereien mit den A-Artikeln, das sind einige wenige Brot- und Brötchensorten, die einfach und in relativ großen Stückzahlen herzustellen sind. Genau die gibt es in den Bake-off-Stationen. Vor allem die Bäcker mit Back-Shops in denselben Supermärkten verzeichnen deshalb erhebliche Einbußen. Denn der Verzehr von Backwaren hat sich in Deutschland seit Jahren auf dem gleichen Niveau gehalten. Was die Industrie gewinnt, verliert das Handwerk. So einfach ist das.

Die Kamps AG meldete für die ersten neun Monate des Jahres 2001 einen Umsatz von fast 1,3 Milliarden Euro und rechnet mit einem Jahresgewinn von 90 Millionen Euro. Macht der Riese die armen kleinen Bäcker kaputt? So einfach ist es wieder nicht. Die kleinen Bäcker sind nicht ohne Schuld, denn etliche von ihnen backen Brötchen, die sich im Geschmack von der Industrieware kaum unterscheiden. Denn letztlich entscheidet immer noch der Verbraucher, wo er seine Brötchen kauft. ULRIKE JAEGER

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