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Käptn Kahytta

Es waren einmal drei Produktionsmäuse, eine große, eine mittlere und eine kleine, die saßen – wie so oft – des Abends in ihrer Mäusebude beisammen und waren in herzliches Schweigen versunken. „Was machen wir denn an Silvester?“, fragte auf einmal die mittlere Produktionsmaus. „Mach doch einen Vorschlag!“, sagte die große Produktionsmaus und ordnete nonchalant ihr Elefantenkostüm.

„Ich weiß was!“, quiekte die kleine Produktionsmaus, „wir machen eine Reise!“ Die mittlere Produktionsmaus wühlte in ihrem kleinen Federröckchen herum, wie sie es immer tat, wenn sie ein wenig aufgeregt war, und sagte: „Wir können doch mit Kutterkäptn Kahytta auf seinem sechssitzigen Kutter zur Silvesterinsel fahren!“ Die große Produktionsmaus lächelte milde, und die mittlere fuhr eifrig fort: „Dort kann man am besten feiern, und das Feuerwerk soll ganz sensationell sein. Außerdem weiß ich aus verlässlicher Quelle, dass Käptn Kahytta noch drei Plätze frei hat.“

Gesagt, getan.

Am nächsten Tag schon stachen sie mit Käptn Kahytta in See, der, wie sich herausstellte, stets in Begleitung einer sprechenden Riesenschildkröte aufzutreten pflegte, denn er selbst war Bauchredner und bewegte niemals seine Lippen, die ihm aufgrund dessen wie zwei schlaffe Lappen fast bis zum Kinn hingen.

Der Seegang war hoch, die Wellen bedrohlich wie eine vorrückende Armee, der sechssitzige Kutter schwankte wie Harald Juhnke in seinen besseren Tagen und die drei Produktionsmäuse mit ihm. Sie wurden sogleich seekrank und konnten ihre Kombüse nicht verlassen. Am dritten Tag klopfte Kahytta an ihre Kajüte und ließ die Riesenschildkröte rufen: „Schluss mit dem Jammern! In fünf Minuten treffen wir uns in meinem Gemach!

Gesagt, getan.

Dort saßen auch schon die anderen beiden Passagiere. Schubl Camingo war eine bemerkenswert hässliche Gestalt. Um seinen hühnerbrustmageren Oberkörper hatte er einen schwarzen dandyhaften Poncho geschlungen, sein kahler Schädel war von einem ebensolchen Filzhut bedeckt, und auf der Nase saß ihm eine rote Pustel von erklecklichem Ausmaß. Vor dreizehn Jahren hatte er sich geschworen, nie wieder Festland zu betreten, und war seinem Schwur auch treu geblieben. Der andere, Fifo Kahroll, war ein grimmiger, vollbärtiger Geselle. Ihm fehlten durch Umstände, über die er nur vage Angaben machte, ein Auge, ein Ohr, eine Hand und ein Bein. Allein mit dem Dröhnen seines Lachens konnte er Bratpfannen zerspringen lassen.

Käptn Kahyttas Miene war so finster wie die seiner Riesenschildkröte, als er sie sagen ließ: „Wir sind in einen Zeitzonenstrudel geraten, wir werden die Silvesterinsel wohl nicht pünktlich erreichen.“ Fifo Kahrolls Auge begann bedrohlich zu zucken, die mittlere Produktionsmaus wühlte in ihrem Federröckchen, und die große Produktionsmaus tat so, als sei sie eingeschlafen, wobei sie sich den Rüssel ihres Elefantenkostüms bequem um den Nacken drapiert hatte. Währenddessen griff Schubl Camingo in seine Ponchotasche, sagte: „Nie im Leben!“, und hatte plötzlich einen Revolver in der Hand, den er direkt auf Käptn Kahytta richtete.

Peng! – schnappte der Deckel seiner in den Revolver eingebauten Taschenuhr auf. „Nach meiner Uhr haben wir nur noch zehn Minuten“, sagte er. „Dann können wir ja schon mal mit dem Blei – äh (kurzer Blick zum Revolver) – Bleigießen anfangen“, quiekte die kleine Produktionsmaus in der Hoffnung, mit ihrer Bemerkung die Situation zu entspannen.

Gesagt, getan.

Fifo Kahroll durfte als Erster gießen, damit endlich sein Augenzucken besänftigt werden konnte. „Oh!“, rief er aus, „eine Madonna!“, und Tränen der Rührung tropften aus seinem (nun nicht mehr zuckenden) Auge. Schubl Camingo, der offensichtlich ein zur Ungeduld neigender Mensch war, hatte schon weitergemacht. „Oh!“, rief auch er, „die Denkerfigur von Rodin!“, und weinte nun auch vor Rührung, bis sein narbiges Gesicht ganz grün angelaufen war. Die drei Produktionsmäuse staunten, wagten aber nichts zu sagen.

Nun durfte die große Produktionsmaus gießen. „Oh!“, riefen Fifo Kahroll und Schubl Camingo wie aus einem Mund, „der Koloss von Rhodos!“ Die große Produktionsmaus errötete, die mittlere zupfte schon wieder an ihrem Federröckchen – und goss. „Oh!“, riefen die beiden Gesellen nun wieder, „Schneewittchen!“, und „oh!“, als die kleine Produktionsmaus gegossen hatte – „die hängenden Gärten der Semiramis!“

Alle weinten, und dann prosteten sie sich mit dem herrlichen selbst gebrauten Punsch zu, den Käptn Kahytta so freundlich war zu kredenzen, bis jener schließlich das Bleikännchen in seine schwieligen Pranken nahm und das Restblei in den Wasserbottich tropfen ließ. „Oh!“, rief er, „die Mona Lisa!“, und zum ersten Mal seit 37 Jahren hatte er seine Lippen bewegt, er konnte wieder sprechen.

Da wurde die Kutterkajüte plötzlich von gleißendem Licht erfüllt und Rauschgold rieselte von ich-weiß-nicht-woher herab – und peng!, stand die Mona Lisa leibhaftig im Raum und lächelte sehr geheimnisvoll in die Runde.

Liebe Kinder, liebe Erwachsene! Nun hätten die drei Produktionsmäuse eigentlich eines der großen Rätsel der Weltgeschichte lösen können (ist Mona Lisa wirklich eine Frau?). Tatsächlich aber schlummerten sie selig und aufs glücklichste berauscht ein und verschliefen die nächsten drei Tage. Und wenn sie nicht gestorben sind, dann schippern sie wohl noch heute irgendwo im Zeitzonenstrudel herum. VERENA KERN

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