: Dompteur der Dinosaurier
Der Präsident des Deutschen Bauernverbands, Gerd Sonnleitner, bekommt „Deutschlands peinlichsten Umweltpreis“
Ohne BSE würde ihn kaum jemand kennen. In der Abgeschiedenheit des gut subventionierten öffentlichen Desinteresses würde Gerd Sonnleitner weiter ruhig und effektiv Lobbyarbeit für den Deutschen Bauernverband DBV machen.
Doch seit einem Jahr ist alles anders: Als Gegenspieler der neuen grünen Verbraucherschutzministerin Renate Künast gelangte der Verbandschef von über 400.000 Landwirten zu nationaler Berühmtheit. Auf die Debatte um BSE in Deutschland reagierte Sonnleitner mit Angriffen gegen Künast: Die Agrarwende sei ein „Kampfbegriff“ und ein „Marsch zurück in die Vergangenheit“, er wehrte sich gegen die Umschichtung der Subventionen für Ökomaßnahmen. Das hat ihm neben seinem Bundesverdienstkreuz von 1998 jetzt die Auszeichnung mit „Deutschlands peinlichsten Umweltpreis“ eingebracht: Der Naturschutzbund Nabu verlieh im gestern den „Dinosaurier der Jahres“.
Begründung: Sonnleitner habe „Lobbyarbeit auf bemerkenswert schlichte Weise“ gemacht, indem er die Verantwortung der Bauern für die Krise der Landwirtschaft schlicht abstreite. Für die „ständige Litanei gegen jeden noch so überfälligen Reformschritt vom Bundesnaturschutzgesetz bis zur Ökosteuer“, für sein „permanentes Nein zu Verbesserungen bei der Tierhaltung und der Reduzierung von Pflanzenschutz- und Düngemitteln“ bekomme Sonnleitner die Auszeichnung, so der Nabu. Schließlich habe sich der DBV-Chef „in Sachen Umweltschutz als besonders antiquiert erwiesen.“
Doch Sonnleitner ist nicht der Sturkopf, als den ihn der Nabu hinstellt. Der gelernte Landwirt bewegt sich sicher auf dem Berliner und dem Brüsseler Parkett. Doch er weiß auch, was er seinen Bauern schuldig ist: Da krempelt er beim Bauerntag die Ärmel hoch und drischt verbal auf die anwesende Renate Künast ein – aber nicht ohne sie vorher leise zu warnen, er müsse jetzt mal ein bisschen böse werden. Als Realist verhandelt er in Gremien und Ministerien über eine neue Agrarpolitik, die kommen wird – und tritt danach vor die Medien und seine Gefolgschaft, um dröhnend zu verkünden, alles müsse so bleiben wie bisher. Deutlich wird dieses Doppelspiel auch, wenn er Künast vorwirft, sie verniedliche die Landwirtschaft und verteufele die industrielle Produktion – um gleich darauf die Zuhörer mit Schnurren aus der heilen Welt seiner Kindheit auf dem Bauernhof zu unterhalten.
Der Mann tanzt auf dem Drahtseil: Einerseits muss er die Pfründen seiner Bauern sichern und sie gegen die grüne Agrarpolitikerin aufwiegeln. Andererseits braucht er Künast, um die Zukunft zu gestalten. Als Vielfachfunktionär zieht er kräftig mit an den Fäden des agrarindustriellen Komplexes in Deutschland und Europa. Andererseits spürt er den Druck seiner eigenen Bauern nach Veränderung. Diese Entwicklungen setzen den gesamten Bauernverband unter Druck. Der flexible Sonnleitner ist kein Dinosaurier; aber er muss die Ewiggestrigen im DBV bei Laune halten. Doch erst nach der nächsten Bundestagswahl wird sich entscheiden, ob es unter einem möglicherweise neuen, CSU-geführten Ministerium zurück zum Business as usual geht – oder ob es auch im Bauernverband eine Perestroika geben wird. Mit oder ohne Sonnleitner. BERNHARD PÖTTER
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