INDIEN MUSS IN REGIONALE SICHERHEITSKONZEPTE EINGEBUNDEN WERDEN
: Weltmachtstreben

Das Gipfeltreffen der Südasiatischen Union für Regionale Zusammenarbeit (SAARC) diese Woche in Nepal galt bislang als gute Gelegenheit, einen vierten Krieg um Kaschmir noch abzuwenden. Indiens Ministerpräsident Vajpayee nimmt jedoch nicht teil, weil er augenscheinlich zu sehr mit der militärischen Mobilmachung beschäftigt ist. Pakistans Präsident Muscharraf bemühte daher ein Zengleichnis: „Ich hätte nichts dagegen, mich mit ihm zu treffen, aber Sie können nicht mit einer Hand klatschen.“ Ein Problem also, das nicht gelöst, über das höchstens meditiert werden kann.

Kriegsähnliche Zustände herrschen zwischen Indien und Pakistan seit über einem halben Jahrhundert – und daran wird sich auf absehbare Zeit nichts ändern. Indien braucht Kaschmir, um seine Integrität als säkulare Demokratie unter Einschluss aller Religionen unter Beweis zu stellen. Pakistan, weil es sich als Staat aller Muslime auf dem Subkontinent versteht. Und China? Warum hält die Volksrepublik strategisch wichtige Höhenzüge in Nordosten Kaschmirs besetzt? Weil China, traditionell Pakistan zugetan, im Vielvölkerstaat Indien wirtschaftlich wie weltanschaulich eine Konkurrenz sieht. Zudem gibt auch die Reichweite indischer Agni-II-Atomraketen Peking zu denken, nicht nur Islamabad.

Auslöser der aktuellen Eskalation war der blutige Angriff auf das Parlament in Delhi – verübt von pakistanischen Islamisten. Eine Attacke immerhin auf das symbolische und operative Zentrum der bevölkerungsstärksten Demokratie der Welt, auf die Premier Vajpayee reagieren musste. Wenn es für die US-Amerikaner legitim ist, den Terror in Afghanistan zu bekämpfen, wer sollte es den Indern untersagen, dasselbe in Pakistan zu tun? Gewiss nicht George W. Bush. Indiens Kriegsdrohung ist ein logisches Manöver, um den internationalen, vor allem den amerikanischen Druck auf Muscharraf zu erhöhen – der General soll endlich die Extremisten ausliefern, die er zuvor beherbergte. Zudem will Indien zu Recht endlich in regionale Sicherheitskonzepte eingebunden werden – und zwar als das, was es unweigerlich werden wird: die zweite asiatische Weltmacht neben China.

ARNO FRANK