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Die amerikanische Wirtschaftsdominanz ist vorbei. Jetzt kann das europäische Jahrzehnt beginnen – mit dem Euro in bar. Mit ihm wird der rheinische Kapitalismus endlich sexy
Zeigen Sie einem Ökonomen die neuen Münzen in Ihrem Geldbeutel, und fragen Sie ihn, was das bedeutet. Er wird Ihnen schlüssig erläutern, dass es sich rein volkswirtschaftlich gesehen, um ein Nichtereignis handelt. Denn bereits seit dem 1. Januar 1999 sind zwölf nationale Währungen unauflöslich aneinander gekoppelt, und die nationalen Notenbanken haben ihre währungspolitische Kompetenz an die Europäische Zentralbank (EZB) abgegeben, die auch das Zinsniveau in Euroland bestimmt. Auf den Devisenmärkten spielen Mark, Lira und Konsorten seither keine Rolle mehr – die Börsianer denken und handeln in Euro.
Wie bei jeder beliebigen anderen Gelegenheit sollten Sie auch in diesem Falle keinen Pfennig, sorry, keinen Cent auf das Urteil des Ökonomen geben. Mag ja sein, dass auf den Kapitalmärkten der Euro längst angekommen ist. Aber in den Supermärkten, auf den Gehaltskonten, in den Geldbeuteln, in den Köpfen also, hält er jetzt erst Einzug. Die neuen Münzen, die neuen Scheine in 280 Millionen Portemonnaies, sie bescheren uns das Gefühl von etwas irgendwie Neuem, das wir uns jedoch noch nicht vorstellen können.
In einer ähnlichen Situation – eindeutiges Gefühl, unbestimmte Perspektive – traten am 10. November 1989 zwei führende Sozialdemokraten vor das aufgewühlte Berliner Volk. Der eine hieß Walter Momper und postulierte, was eh schon alle taten: „Berlin, nun freue dich!“
Der andere hieß Willy Brandt und meinte: „Jetzt wächst zusammen, was zusammengehört.“ Damit gelang es ihm, einem bekannten, aber noch nicht begriffenen Faktum eine Perspektive zu geben.
Jetzt, zur Einführung des Eurogeldes, wird in ganz Europa kräftig gemompert. Aber wird irgendjemand es schaffen, der neuen Währung mit ein paar Brandt-Sätzen eine Zukunft zu verheißen?
Werfen wir mal versuchsweise zwei davon in die Debatte:
1. Der Euro rettet die Weltwirtschaft.
In den 90er-Jahren lag die Verantwortung für die Weltkonjunktur auf den Schultern des US-Notenbankchefs Alan Greenspan. Auf sein Konto ging die längste ununterbrochene Wachstumsperiode in der Geschichte der USA. Erst die seit März 2001 andauernde Rezession beendete das amerikanische Jahrzehnt genau so abrupt, wie 1989/90 das Platzen der Tokioter Immobilienblase das japanische Jahrzehnt beendet hatte.
Die US-Konjunktur quält sich, von Alan Greenspan strohbefeuert, mit Hängen und Würgen ins Jahr 2002, flackert wohl noch einmal kurz auf, um dann umso nachhaltiger zu kollabieren. Überbewertete Aktien, überbewertete Währung, auf breiter Front sinkende Gewinne, bis Oberkante Unterlippe verschuldete Konsumenten, und das bei noch immer hoher Verunsicherung. Nur die Börsianer glauben noch, sich darum nicht scheren zu müssen: Bisher hat Alan Greenspan sie nie im Regen stehen lassen.
Eine ebenso verständliche wie trügerische Sicherheit: Die gerade erst begonnene US-Wirtschaftskrise dürfte nämlich ganz im Gegenteil den Beweis antreten, dass eine Geldpolitik auf Sand gebaut ist, die sich vor allem am Gedeihen des Aktienmarktes orientiert. Die extrem starke Kopplung der Volkswirtschaft an die Aktienkurse birgt sogar die Gefahr, dass die US-Ökonomie in eine rezessive Teufelsspirale geraten könnte.
Wer kann dem strauchelnden Riesen die Führungsarbeit abnehmen? Japan laboriert noch an den Spätfolgen der Blasenbildung von 1989, China ist noch nicht weit genug, der Weltwirtschaft Impulse zu verleihen, und über andere Kandidaten wie Russland, Indien, Südafrika, Brasilien decken wir lieber den Mantel des Schweigens.
Also bleibt übrig: Europa.
„Der Euro wird kommen, aber er wird keinen Bestand haben“, hat sich Alan Greenspan bereits vor Jahren festgelegt. Hätte er Recht damit, wäre eine tiefe Weltwirtschaftskrise in der Tat nicht mehr zu verhindern. Nur wenn er widerlegt wird, wenn die Einführung des Euro den Beginn eines europäischen Jahrzehnts markiert, kann der Einbruch des US-Wirtschaft in seinen Auswirkungen begrenzt werden.
Der Einstieg in die gemeinsame Währung vor drei Jahren hat die ökonomische Grundlage dafür geschaffen, dass im kommenden Jahrzehnt die europäischen Kernländer die Schrittmacherfunktion für die Weltwirtschaft übernehmen können – wenn sie nicht mehr dem US-Vorbild hinterherhecheln und stattdessen auf die eigenen Stärken vertrauen.
Der Euro in den Geldbeuteln ist eine große Chance, diese psychologischen Defizite abzubauen. Er ist nach fünf Jahrzehnten das erste im Wortsinn greifbare Ergebnis der Europäisierung – aus einem bisher nur statistisch vorhandenen Binnenmarkt mit 280 Millionen Konsumenten wird nunmehr eine handfeste Realität. Die Effizienzgewinne, die sich daraus ergeben, werden dabei nicht schlagartig freigesetzt, sondern über mehrere Jahre verteilt; denn wenn Preise und Angebote vergleichbarer werden, erhöht das den Druck auf die jeweils schwächsten Anbieter. Sie müssen ihr Preis-Leistungs-Verhältnis verbessern oder Innovationen auf den Markt bringen oder andere Marktnischen suchen oder ganz aussteigen. Ein anstrengender, oft langwieriger und manchmal schmerzhafter Prozess, der auf allen Stufen eine erhöhte gesamtwirtschaftliche Produktivität zur Folge hat – und das ergibt genau die Dynamik, die für ein europäisches Jahrzehnt, für eine Konjunkturlokomotive der Weltwirtschaft benötigt wird.
2. Der Euro ist der Anfang vom Ende der Shareholder-Value-Ideologie.
Die amerikanische Shareholder-Value-Wirtschaft hat erstaunliche Ähnlichkeiten mit der unseligen Ökonomie des real existiert habenden Sozialismus. Es handelt sich in beiden Fällen um nicht nachhaltige Wirtschaftsformen, die zugunsten des kurzfristigen Erfolgs ihre ökonomische und ökologische Substanz verzehren. Und beide Wirtschaftsformen sind parasitär, zur Sicherung ihres Überlebens also auf die Einverleibung neuer Regionen oder Marktsegmente angewiesen. Der Sozialismus ist bereits gescheitert, der amerikanische Kasinokapitalismus hofft noch darauf, die nachhaltig Wert schöpfenden europäischen Marktwirtschaften in sein Reich einzugemeinden. Doch die könnten sich gerade noch rechtzeitig dem Zugriff der befreundeten Supermacht entziehen.
Durch den Abbau von monetären und nichtmonetären Handels- und Fühlungshemmnissen in Euroland verstärkt sich das Bewusstsein für die Gemeinsamkeiten der ökonomischen Kultur. Dieser „rheinische Kapitalismus“ (Michel Albert) hatte im ablaufenden amerikanischen Jahrzehnt einen schweren Stand: Abgestempelt als verkrustet, verschnarcht und fußkrank kam er aus der Defensive nicht heraus – weil er sich der gemeinsamen Stärke nicht bewusst war. Von Übernahme- bis zu Bilanzierungsrichtlinien zankten die Euroländer über – vergleichsweise kleine – nationale Differenzen, anstatt die – vergleichsweise großen – Differenzen zum US-System offensiv zu propagieren.
„Der rheinische Kapitalismus ist nicht sexy“, bemängelte vor zehn Jahren sein größter Fan Michel Albert: „Es fehlt ihm an Erscheinung. Alles für den Erfolg, doch nichts, um auch jemandem zu gefallen – medienpolitisch eine absolute Null.“ Genau das ändert sich nun. Der rheinische Kapitalismus wird eine Erscheinung, bekommt ein Gesicht: den Euro. Dieser repräsentiert soziales Bewusstsein und ökonomische Nachhaltigkeit, die Tradition abendländischer Kultur und die Zukunft abendländischen Wirtschaftens.
Denn so schwach die europäischen Ökonomien heute wirken, sie sind weit näher als die Amerikaner dran an dem, was morgen den entscheidenden Wettbewerbsvorteil ausmachen wird. Wenn Wissen der Rohstoff des 21. Jahrhunderts ist, muss europäischer Jobholder-Value über amerikanischen Shareholder-Value siegen; wenn Nachhaltigkeit über Raubbau siegen soll, muss sich europäische Bilanztradition gegen US-GAAP behaupten – und Wim Duisenberg gegen Alan Greenspan, wenn finanzielle Sicherheit der Bevölkerung wichtiger ist als finanzielle Sicherheit der Börsianer.
Die Lage ist also ganz gut im Kampf zwischen Abendland und Barbarei. Nur die Stimmung ist schlecht. Wie sehr der Euro in den Geldbeuteln die Lage verbessert, ist da gar nicht so wichtig – wenn er die Stimmung hebt, ist der Kampf so gut wie gewonnen.
DETLEF GÜRTLER
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