: Argentiniens Sechstageregierung
Nach neuen Protesten tritt das gesamte Interimskabinett in Rekordzeit zurück. In der peronistischen Partei toben Machtkämpfe um den Zwischenpräsidenten Rodríguez Saá. Wirtschaftlich und politisch scheint Argentiniens Zukunft derzeit völlig offen
aus Buenos Aires INGO MALCHER
Nach nicht ganz einer Woche im Amt ist am Samstag das komplette argentinische Kabinett von Interimspräsident Adolfo Rodríguez Saá zurückgetreten. Die Ursache: In der Nacht zum Samstag zogen erneut tausende von Menschen durch die argentinischen Städte wie Buenos Aires, Córdoba und Rosario, um gegen die wirtschaftliche Lage im Land zu protestieren.
Noch immer sind die Bankkonten der Argentinier eingefroren, und viele fürchten um ihre Ersparnisse. In den frühen Morgenstunden am Samstag lieferten sich Demonstranten und Polizei heftige Straßenschlachten. Dabei gelang es einigen Demonstranten die Türen des Nationalkongresses zu knacken und in dem historischen Gebäude Feuer zu legen. Es entstand erheblicher Sachschaden. Auch in der Nachbarschaft wurde Banken angezündet und Supermärkte geplündert.
Mit der Demonstration vom Samstag erlebte Rodríguez Saá die erste Revolte gegen seine Regierung, die bislang auf der Stelle tritt und sehr ratlos erscheint. Aber auch innerhalb seiner Justizialistischen Partei (PJ) mehren sich die Widerstände gegen Saá, der vielen peronistischen Gouverneuren zu mächtig und selbstherrlich wird, gerade was Personalentscheidungen angeht. So hat Saá ausgerechnet Carlos Grosso zum Chef seines Beraterteams gemacht. Der Peronist musste 1991 als Bürgermeister von Buenos Aires wegen Korruptionsverdacht auf Drängen des peronistischen Präsidenten Carlos Menem abdanken, zu einer Zeit, in der die Bürgermeister der Hauptstadt noch vom Präsidenten ernannt wurden. Einige Peronisten, die eigene Präsidentenpläne schmieden, wie der Gouverneur der Provinz Buenos Aires, Carlos Ruckauf, wollen mit dem Populisten Saá nichts zu tun haben und versuchen ihn auszubremsen, bevor er zu mächtig wird. Doch noch ist unklar, ob es überhaupt im März zu Neuwahlen kommt. Schon fordern viele, Saá solle bis 2003 regieren.
Aber nicht nur politisch ist die Lage unübersichtlich. Auch in der Wirtschaft ist völlig unsicher, welchen Weg Saá einschlagen wird. Bislang wollte er zumindest nach außen von einer Abwertung des argentinischen Peso nichts wissen. Keiner will der Buhmann sein, der die Währung abwertet und damit die Guthaben vieler Argentinier automatisch verkleinert. Aber selbst der Internationale Währungsfonds (IWF) sieht kaum noch einen anderen Ausweg. Auch könnte die bereits angekündigte neue zusätzliche Währung „Argentino“ in den Druckereien liegen bleiben. Nach harter Kritik von Ökonomen prüft die Regierung nach Angaben der Tageszeitung Clarín, den „Argentino“ durch bereits existierende Staatspapiere mit Quasigeldwert zu ersetzen. Als der Zentralbankpräsident David Expósito in einem Interview angab, dass von den „Argentinos“ so viele gedruckt werden müssten, dass dies zwingend zu einer Abwertung gegenüber dem Dollar führen würde, musste er zurücktreten.
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