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: HELMUT HÖGE über Kulturschaffende im Knast

Aus den Tegeler Kulturtagen

So wie aus den proletarischen Massen plötzlich Sicherheitsbedienstete in Fantasieuniformen wurden, hat sich auch der Knast, einst Schule ihres politischen Kampfes, zu einem Dienstleistungsunternehmen gewandelt. Jetzt gibt es dort statt Klassen- eher Rassenkämpfe – und was früher die rote ist jetzt die braune Knasthilfe. Diese Entwicklung hat auch vor dem einst größten deutschen Knast – Tegel – nicht Halt gemacht.

Früher hatten die Knackis, die von dort rauskamen, noch mehrere Anlaufpunkte in der Linken. Ja, den Genossen mit Abitur wurde sogar geraten, Geldstrafen nicht zu zahlen, sondern abzusitzen, um die Angst vor dem Knast zu verlieren. Der Knastaufenthalt war so etwas wie ein Diplom. Die taz hatte anfänglich noch eine volle Stelle zur Betreuung von Knastabos und sogar mal eine Justizredaktion. Außerdem schulte sie gerne entlassene Terroristen um und gab ihre Seiten für Unterstützergruppen von Gefangenen frei, zuletzt am 19. Dezember. Aus Tegel schrieb der inhaftierte Dagobert Kolumnen, und die Berlinredaktion stellte einst den Knastzeitungsredakteur Peter Lerch als Reporter ein. Ansonsten drifteten die Szenen jedoch immer mehr auseinander – ähnlich wie bei der Drogenszene. Jetzt verirren sich höchstens noch ab und zu Kulturschaffende in den Knast. Jüngst stellte der Regisseur Kornel Miglus seine Videoarbeit aus dem für polnische Kriminelle reservierten Knast in Spremberg vor, und Lilli Brand berichtete über ihre Karriere in einem vor allem mit Ausländerinnen belegten Frauenknast, in dem zuvor ein ambitioniertes Theaterstück inszeniert worden war. Aus dem Gefangenentheater „aufBruch“ (sic) heraus entstand gerade der Gefängnis-„Bericht Einschluss“ des Dramaturgen, Privatdozenten und Schriftstellers Hans-Joachim Neubauer. Von den 1.700 Männern aus fast 50 Nationen, die dort eingeschlossen sind, hat er mit einem Dutzend mehrere Jahre lang Interviews geführt.

Im Zentrum seines Buches stehe nun die Zeit, meint der Autor. Aus den Interviews machte er eine Reihe von Erzählungen: „Ich war Geschäftsführer einer Immobilienfirma. Nach der Ermordung meines Chefs kam auch ich in den Strudel der Ermittlungen...,“ so erzählt einer, und ein anderer: „Ich bin sechseinhalb Jahre inhaftiert, aber bin unschuldig“. Ein dritter: „Ich bin schon zwei Jahre hier, wegen versuchten Mord. Ich habe in einer arabischen Firma gearbeitet, mit meinen Freunden zusammen, als Baupolier ...“. Ein wegen Sittlichkeitsverbrechen Inhaftierter sagt: „Zeigen, dass ich einen mag, das konnte ich nicht. Nur meinem Hund.“ Ein krimineller Autohändler erklärt: „Wir waren eine mobile KFZ-Zulassungsstelle, Tag und Nacht geöffnet.“ Ein falscher Autobahnpolizist berichtet: „Die Polizei stritt mit der Rostocker Kripo darüber, wer meine Kelle und den Ausweis kriegte“. Und ein Neonazi meint: „Wir wollen eigentlich keinen Bürgerkrieg im engeren Sinne.“

Der Autor hat die Geschichten der Knackis sortiert – und den Kapiteln „Gelände“, „Wirtschaft“, „Zeit“, „Ordnung“ und „Die Strafe“ zugeordnet. Der Leiter der Justizvollzugsanstalt sowie etliche Teilanstaltsleiter unterstützten die Arbeit an seinem Bericht, was seiner Meinung nach vom Mut dieser Institution zeugt. Ich würde dagegen behaupten, dass die (linke) Initiative jetzt von den Inhaftierten auf die Inhaftierer übergegangen ist. Einer der Inhaftierten kann dazu im Buch aus eigener Erfahrung beisteuern: „Wenn du auf Droge bist und auf Beschaffung, verschwinden diese Werte, der Stolz und die Ehre und die Ethik und dieses ganze alte Ganoventum und Gauklertum und was da alles noch drin ist. Wenn du auf Droge bist, fällt das völlig weg ..., dann nimmst du auf nichts mehr Rücksicht.“ Ein anderer, der schon in der DDR im Knast war, meint: „Hier ist jeder auf Lockerung aus.“ Bei uns gab es früher mehr „Zusammenhalt“ sowie eine Verständigung über Klopfzeichen. „So etwas gibt es hier auch nicht“ (mehr). Es wäre ja auch paradox gewesen, wenn einzig Tegel eine Insel der Seligen geblieben wäre.