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Gesetze in Bewegung gebracht

Das fesselnde Kino Pedro Almodóvars: Im Metropolis startet diese Woche eine Retrospektive des spanischen Regisseurs, das B-Movie steigt im Februar mit ein  ■ Von Stefanie Maeck

Die Anfänge der Filme von Pedro Almodóvar sind meistens sehr kom-plex, kunstvolle Kamerafahrten und gleitende Perspektivwechsel werden von Überblendungen und eleganten Match-Cuts abgelöst. So tritt man ein in eine kunterbunte Welt mit artifiziellen Farbkombinationen, einer stilisierten bis collageartigen Ikonographie, einem Zitatenreichtum, der den Filmfreund beglückt – und in der Frauen aller Altersklassen mit der Liebe und anderen nervösen Leidenschaften in einem stilvollen bis schrillen Dekor beschäftigt sind.

Atame! (Fessle mich!, 1990) geht anders vor, und doch ist dieser Film für das Kino des Spaniers besonders aufschlussreich. Ein alternder Regisseur ist hier an einen Rollstuhl gefesselt, ein junger Mann darf nach Jahren die Psychiatrie verlassen. Eine Schauspielerin wird so lange von ihm gefangen gehalten, bis auch sie diesen Mann liebt, der sie nur zwingen wollte, ganz genau hinzusehen, um ihn wirklich zu erkennen und zu lieben. Erst dann dürfen die Fesseln abgestreift werden. Ein Film, der auch als Allegorie über das Filmemachen und Unterhalten, über das Verhältnis von Fesseln und Gefesseltwerden, über das von Regisseur und Rezipient, zu lesen ist.

Almodóvars Universum ist nicht nur eines, das sich einer Palette voller knallbunter Farben bedient, um das Auge zu reizen, sondern auch eines, dass die verschiedensten gesellschaftlichen Themen unerwartet zusammenführt. In Atame! sagt eine unattraktive, nervige und ignorante Journalistin zu dem Filmemacher im Rollstuhl: „Sie gelten als der Regisseur der Frauen. Warum haben Sie in ihrem neuesten Film bloß eine Pornodarstellerin und Drogensüchtige als Star?“ Der Regisseur beendet daraufhin das Gespräch mit den Worten: „Wenn Sie ihre Reportage überleben wollen, dann verwenden Sie nie wieder die Wörter Pornographie und Drogen.“

Ein Satz, der auch außerhalb des Filmzusammenhanges etwas Wahres hat. Almodóvar huldigt in seinen Filmen zwar stets den Frauen, doch ihn auf ein melodramatisches Beziehungs- oder Gefühlsgenre beschränken zu wollen, wäre grobe Reduzierung. Die Kunst seiner Filme besteht gerade darin, im Aufeinandertreffen verschiedener Inhalte, Themen und Stimmungen eine Öffnung für die Kritik zu schaffen. Gegensätze und Brüche wirken wechselseitig erhellend aufeinander ein. Oft sind das, abstrakt genommen, die Sünde und die Kirche – wie zum Beispiel in der schwarzen, an Les anges du peche von Bresson angelehnten und an Buñuel erinnernden Satire Entre tinieblas (Im Kloster des heiligen Wahnsinns, 1983).

Dort schwelgt die Mutter Oberin eines Klosters im Heroin- und LSD-Rausch und leidet an ihrer heimlichen Liebe zu der Nachtclub-Sängerin Yolanda, die am Ende einen fulminant erotischen Auftritt mit Bolero-Liedern auf der Klosterbühne hat.

Nicht umsonst ist Joseph Mankiewicz, Regisseur von All About Eve, ein Vorbild der doppelbödigen und tendenzenreichen Arbeit von Pedro Almodóvar. Sentiment, Lakonie und Gesellschaftsstudie sind in den Filmen des Letzteren genauso anzutreffen wie bei Mankiewicz. Der Mann, der die Frauen liebt und die hypocrite Bourgeoisie tadelt, heißt Almodóvar.

„Wenn einen ein Mann verlässt, dann muss man an den Ort seiner Geburt zurückkehren, die Heiligenkapelle aufsuchen und mit den Nachbarinnen an die frische Luft gehen, sonst verirrt man sich wie eine Kuh ohne Glocke.“ Das sagt die alte Mutter am Bett ihrer liebeskranken und vom Ehemann verlassenen Tochter in La flor de mi secreto (Mein blühendes Geheimnis, 1995), die ihr Ziel im Leben kurzfristig verloren hat. In Almodóvars Filmen treten Generationen von Evas auf, zanken, plaudern und tauschen alles über Adam aus. Dabei sind sie nicht selten zynisch und emotional zugleich und allemal lebenstüchtiger als die Männer.

Dass Männer „Terroristen“ sind, ist für drei gegeneinander ausgespielte Damen in der 50er-Jahre-Ausstattungs-Hommage Mujeres al borde de un ataque de nervios (Frauen am Rande des Nervenzusammenbruchs, 1988) sowieso schon klar. Sehr heiter lässt Almodóvar hier verschiedene Liebesdiskurse und Schauplätze einer Beziehungsgeschichte in einem Pent-house zusammenlaufen, in dem das Gazpacho voller Barbiturate ist, das Bett abgebrannt, und das Telefon aus dem Fenster geworfen. In Nebenrollen gibt es Terroristen, eine verrückte und auf Rache sinnende Ehefrau, einen Kussfeti-schisten, nebst einer nymphomanischen Freundin und erneut – die verlassene Geliebte.

Ob das gefühlvolle und realistische, surreale, zynische und kitschige Kino des Regisseurs aus Madrid Das Gesetz der Begierde (La ley del deseo, 1987) zwischen den Geschlechtern entschlüsselt, das kann im Januar im Metropolis-Kino und im Februar anhand späterer Arbeiten im B-Movie überprüft werden.

Frauen am Rande des Nervenzusammenbruchs : Do (Eröffnung mit Gästen), 21.15 Uhr, Fr, 22 Uhr, Sa, 20 Uhr + Mo, 17 Uhr; Das Gesetz der Begierde : Do, 10.1., 19 Uhr, Fr, 12.1. + Di, 15.1., 21.15 Uhr + Mo, 14.1., 17 Uhr, Metropolis; weitere Filme folgen

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