: When Dogma goes Comedy
■ „Italienisch für Anfänger“ als Anleitung für schüchterne Singles. Im neuen Dogma-Film demonstrieren Dänen das, was viele für südeuropäisches Temperament halten. Ein Gespräch mit der Regisseurin Lone Scherfig
Ein Pastor, eine Friseurin, eine Verkäuferin, ein Hotel-Portier, ein Restaurant-Manager und eine Kellnerin nehmen in einem Vorort von Kopenhagen an einem Italienisch-Kurs teil. Nicht gerade der Stoff, aus dem heutzutage große Kinofilme erzählt werden. Eher einer, den Kritiker nachher als „kleinen Film“ bestimmen werden, klein aber fein. Mit Italienisch für Anfänger legt die Regisseurin Lone Scherfig ihren Beitrag zum dänischen Kino-Exportschlager Dogma 95 vor. Nach den stark moralisierenden Vorgängern (Das Fest, Idioten) besticht der erste von einer Frau gedrehte Dogma-Film durch einen eher leichten, beschwingten Ton. Zwar liegen auch hier wieder humorvolle Überspitzung und melancholische Reflexion sehr nah beieinander, die Handlung setzt jedoch weniger auf den Schockmoment oder auf den unkonventionellen Umgang mit der Handkamera.
taz hamburg: Wieso haben Sie einen Dogma-Film gemacht?
Lone Scherfig: Ich wurde dazu eingeladen.
Hatten Sie das Skript für Italienisch für Anfänger schon in der Schublade?
Nein, ehrlich gesagt, es war noch nicht mal fertig, als wir bereits mit dem Dreh angefangen hatten. Ein Teil des Films ist komplett improvisiert. Ein anderer Teil ist erst aus dem Gespräch mit den Schauspielern entstanden. Es war alles sehr spontan und flexibel.
Flexibilität scheint einer der Hauptvorzüge eines Dogma-Films zu sein.
Ja, das würde ich so unterschreiben. Speziell die Schauspieler müssen sehr flexibel sein, sie sind Teil des Prozesses, Teil des Ganzen. Sie spielen nicht einfach eine Rolle, sie liefern Ideen, Improvisationen und entwickeln ihren Charakter im Laufe des Films selbst.
Ist es schwierig, diese beweglichen Charaktere dramaturgisch unter einen Hut zu bekommen?
Ja, manchmal. Normalerweise gibt es für jede Figur eine Schlüsselszene, in der ihre Situation oder ihr Problem vorgestellt wird. Das funktioniert bei diesem Film nicht. Es ist eher wie bei einer Serie. Ich habe vorher für TV-Serien gearbeitet. Auch da werden die Geschichten verschiedener Personen nebeneinander erzählt, ohne feste dramaturgische Klammer.
Die einzige dramaturgische Klammer in Ihrem Film ist der Italienisch-Kurs. Warum ausgerechnet Italienisch?
Ich habe da nicht viel drüber nachgedacht. Vielleicht existiert in unseren Köpfen so ein Postkartenbild von Italien, von Lebenslust, Rotwein und Romantik. Wahrscheinlich ist das genauso falsch wie das Vorurteil, Skandinavier seien alle groß, blond und schüchtern. Es ist ein Symbol: Die Menschen, die diesen Sprachkurs machen, haben absolut nichts Italienisches, aber sie wollen ausbrechen aus ihrem Alltag. Mich würde mal inte-ressieren, wie das italienische Publikum auf diesen Film reagiert.
Das Publikum auf der Berlinale war begeistert...
Ja, das muss ein sehr intelligentes und humorvolles Publikum gewesen sein. Nein, im Ernst. Man sagt ja immer, der Humor ende an den Landesgrenzen, aber in Berlin haben die Leute tatsächlich über die gleichen Witze gelacht wie die Zuschauer in Dänemark.
Der Film springt sehr leichtfüßig zwischen Drama und Komödie. Wie ist das entstanden?
Ich denke, man kann sehr traurige Geschichten durchaus ernst erzählen, wenn man seinen Humor dabei nicht verliert. Diese Mixtur ist kein bewusst eingesetztes Stilmittel, eher ein Spiegel des Lebens. Dadurch wirkt der Film sehr au-thentisch. Eine Authentizität, die sich nicht nur auf Schauplätze, das Licht oder die Maske bezieht, sondern auch auf die Handlung selbst.
Die bisherigen Dogma-Filme haben alle etwas gemeinsam. Ist Dogma inzwischen zu einem Genre geworden?
Ja, vielleicht. Möglicherweise hat das damit zu tun, dass dir beim Drehen niemand reinredet. Niemand sagt, den Witz kannst du nicht machen oder das ist zu viel Theatralik. Vielleicht hängt es aber auch damit zusammen, dass wir Dogma-Filmer alle schon in anderen Medien gearbeitet haben, zum Beispiel fürs Fernsehen oder für den Hörfunk und dort Erfahrungen gemacht haben, die wir in unseren Filmen umsetzen.
Wie schätzen Sie den Einfluss der Dogma-Filme auf den europäischen Film ein. Ist Dogma am Ende eine Nouvelle Vague?
Das sicher nicht. Dogma hat nicht die Eleganz und den Stil der Nouvelle Vague. Wir sind eher die Weltmeister im Low Budget-Produzieren. Aber genau das könnte auch eine Signalwirkung haben. Viele junge Talente verfügen heute über eine Dogma-ähnliche Ausrüstung und können einfach herumprobieren, ohne Studio, Maske oder künstliche Beleuchtung. Ebenso könnte Dogma ein Signal für etablierte Regisseure sein, ihr perfektes Equipment besser zu nutzen und wieder mehr Wert auf die Story und auf die Charaktere zu legen.
Interview: Frank Schliedermann
Preview: heute, 20 Uhr, Zeise, Filmstart 17.1.02
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