: Kärntner Wallungen
Wenn Jörg Haider a bissel hochstilisiert, werden in Kärnten deutschnationale Gefühle freigesetzt. Auch bei der SPÖ
aus St. Kanzian/Škoncian RALF LEONHARD
„Willkommen – Dobrodosšli – Benvenuti – Welcome“. Die Ferienregion Klopeiner See/Turnersee in Unterkärnten begrüßt ihre Gäste auf einer Holztafel viersprachig. Urlauber aus allen Teilen der Welt haben der Region, kaum 30 Minuten östlich der Landeshauptstadt Klagenfurt, Wohlstand beschert. Mit rund einer Millionen Übernachtungen ist die 4.300-Einwohner-Gemeinde St. Kanzian eine der größten Fremdenverkehrsgemeinden Österreichs. Kaum zu glauben, dass sich hier schon zum zweiten Mal ein erbitterter Streit über zweisprachige Ortstafeln entfacht hat.
„Wir wollen nicht Vororte sein von Laibach“, grollt der Vizebürgermeister Josef Krainz und meint die slowenische Hauptstadt Ljubljana. Der Sozialdemokrat fürchtet die Slawisierung Kärntens und ist überzeugt, dass in der Regierung der Republik Slowenien viele den Traum von einem um Südkärnten erweiterten Großslowenien nicht aufgegeben haben: „Man will immer noch ein Stück und noch ein Stück.“ Und so ein Stück ist für Krainz eben das Wort Škoncian gleich neben St. Kanzian.
Auslöser: ein Strafzettel
Der Anwalt Rudolf Vouk aus dem benachbarten Eberndorf hatte im Jahre 1994 den Konflikt ausgelöst. Er war im Ortsgebiet von St. Kanzian mit überhöhter Geschwindigkeit von der Gendarmerie gestoppt worden. Gegen das Strafmandat legte er Beschwerde ein und klagte bis zum Verfassungsgerichtshof.
Vouks Argumentation stützte sich darauf, dass eine Ortstafel juristisch eine Verordnung ist. Eine falsch verlautbarte Verordnung sei rechtlich nichtig. Das Schild hätte von Rechts wegen zweisprachig sein müssen, sei also falsch verlautbart. Ergo hätte er sich auf der Landstraße befunden. Zwar wird St. Kanzian in einem Gesetz von 1977 nicht erwähnt, das alle Orte aufführt, die zweisprachig zu beschildern sind. Denn dort finden sich nur Orte mit einem Minderheitenanteil von einem Viertel. Aber Vouk hielt diese Regelung für zu restriktiv. Der Verfassungsgerichtshof gab ihm kurz vor Weihnachten Recht. Die Richter befanden, dass im Einklang mit gängiger europäischer Praxis ein Minderheitenanteil von zehn Prozent ausreiche, damit beide Schreibweisen auf die Schilder müssen.
„Faschingsentscheidung“, schimpfte der Landeshauptmann Jörg Haider von der FPÖ und forderte den VfGH-Präsidenten Adamovich zum Rücktritt auf. Das Verfassungsgericht erklärte gestern, Haiders Vorwürfe böten keinen Anlass zu einem Amtsenthebungsverfahren gegen den Präsidenten.
Seinen patriotischen Anhängern hatte Haider versprochen, er würde eher zweisprachige Schilder abmontieren als neue aufstellen. In einem deutschnationalen Amoklauf will er sogar die Namen slowenischer Städte auf Autobahn-Hinweistafeln entfernen lassen. Der Hinweis „Staatsgrenze“ müsse genügen.
In St. Kanzian. Ein slowenisch-kärntnerischer Kaufmann, der seinen Namen lieber nicht in der Zeitung lesen will, legt keinen Wert auf zweisprachige Beschilderung: „Mich stören die Tafeln nicht und ich brauch auch keine.“ Damals, als vor 30 Jahren die ersten Tafeln mit den slowenischen Ortsnamen aufgestellt und gleich darauf von wütenden Deutschkärntnern ausgerissen wurden, bekam er plötzlich zu spüren, was Boykott heißt. Er sei zwar nicht öffentlich angepöbelt worden, doch seine Umsätze sanken. Monatelang mieden die Deutschkärntner sein Geschäft: „Des hob ich scho gespürt.“ Dass der gegenwärtige Streit in eine ähnliche Hysterie münden könnte wie die, die zur Sprengung von Kriegerdenkmälern und monatelangem Aufruhr in Kärnten führte, hält er für nicht wahrscheinlich. Doch macht ihm Sorgen, dass Haider die Sache emotional hochspielt.
In St. Kanzian hatte schon 1972 der Tumult begonnen, als die vom Staatsvertrag 1955 geforderten zweisprachigen Ortstafeln in gemischtsprachigen Gebieten endlich aufgestellt wurden. Die in einigen Ortschaften errichteten zweisprachigen Schilder wurden über Nacht ausgerissen. Man munkelt, dass Bürgermeister Jesse selbst die Trupps losgeschickt habe. Dennoch wurde der Sozialdemokrat bei den folgenden Gemeinderatswahlen abgewählt, weil eine Stimme für ihn als Unterstützung für den ebenfalls sozialdemokratischen Landeshauptmann Sima hätte gedeutet werden können. Und der hatte sich für die Erfüllung der in Artikel 7 des Staatsvertrags 1955 festgelegten Minderheitenrechte eingesetzt. Auch Sima stürzte über den Ortstafelstreit und wurde durch den deutschnational gesinnten Leopold Wagner (auch SPÖ) ersetzt. Wagner, der sich mit Stolz an seine Karriere als „hochgradiger Hitlerjunge“ erinnerte, versuchte die slowenische Kultur zurückzudrängen.
Auch heute ist es noch so, „dass sich die SPÖ nicht unbedingt gegen die Haider-Linie stellt“, wie Bürgermeister Albert Holzer (SPÖ) zugibt. Allerdings: „Haider tut des a bissel hochstilisieren.“ Holzer gibt Haider insofern Recht, als „das Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofs den tatsächlichen Gefühlsmomenten der Unterkärntner Bevölkerung nicht Rechnung trägt“.
Auf die Wirtin im Gasthaus „Kirchenwirt“ trifft das sicherlich zu: „Da krieg ich gleich Wallungen.“ Die Gäste, die oft aufgeregt darüber diskutieren, seien alle gegen zweisprachige Schilder. Sie sei zwar auch aus einer gemischtsprachigen Familie, doch grenzt für sie das Begehren nach neuen Schildern an Unverschämtheit: „Von mir aus sollen sie Ortstafeln bekommen. Aber dann bitte keine Subventionen mehr für die Kulturvereine.“
Von Haider gehätschelt
In den vergangenen Jahrzehnten wurden slowenische Trachtenchöre, Theatergruppen und Sportvereine aus Gemeinde-, Landes- und Bundesfonds großzügig gefördert. Besonders der regierende Landeshauptmann Haider versuchte, die slowenische Volksgruppe durch Fördermittel für die Traditionspflege zu vereinnahmen. Auch wenn er gleichzeitig die Schließung von Bezirksgerichten, zweisprachigen Volksschulen und Gendarmerieposten in stark slowenisch besiedelten Gemeinden plant, zeigten die Subventionen Wirkung: Die slowenischen Intellektuellen, die weiterhin auf der Erfüllung des Staatsvertrages in allen Punkten bestanden, wurden immer mehr isoliert. In St. Kanzian verbündete sich die slowenische Liste bei den Wahlen 1999 sogar mit der Freiheitlichen gegen die SPÖ.
Der Erziehungswissenschaftler Vladimir Wakounig an der Universität Klagenfurt erklärt das damit, dass die Slowenen seit dem erwähnten deutschnationalen SPÖ-Landeshauptmann Wagner Sozialdemokraten als das größte Übel betrachten. Wakounig wirft den Kärntnern ein gestörtes Verhältnis zu Demokratie und Rechtsstaatlichkeit vor. Haider regiere wie ein mittelalterlicher Fürst, der das Gesetz ständig neu erfinde und nach seinem Willen biege. Alles Recht entspringt seinen Launen und nicht einem Gesetzgeber in der Bundeshauptstadt.
Deswegen ist auch der Verfassungsgerichtshof der beste Verbündete der slowenischen Minderheit, denn er verhilft den in Verfassung und Gesetzen verbrieften Rechten zum Durchbruch. „Wenn der Verfassungsgerichtshof die Situation in der Bevölkerung berücksichtigte, wäre er nicht imstande, Ungleichheiten abzuschaffen“, ist Vladimir Wakounig überzeugt. Schon vor der umstrittenen Erkenntnis über die Senkung der Prozentanteile wurde in den gemischtsprachigen Gebieten Kärntens Slowenisch als zweite Amtsprache via Verfassungsgerichtshof durchgesetzt. Letztes Jahr urteilte der VfGH, dass in gemischten Gebieten nicht nur in den ersten drei, sondern in allen vier Klassen der Volksschule zweisprachig unterrichtet werden muss. Das ist auch der Grund, warum die Richter bei den Deutschkärntnern so unbeliebt sind.
Der Ärger über die Verfassungsrichter sammelt sich im Büro des Kärntner Heimatdienstes (KHD) in Klagenfurt. Ständig treffen hier Faxe ein, die zum Widerstand gegen das Gericht aufrufen. Der KHD ist eine Bürgerinitiative, die 1919 gegründet wurde, um vor der Volksabstimmung über die Zugehörigkeit Unterkärntens Propaganda für Österreich zu machen. Im Sitzungszimmer hängt ein großes historisches Foto. Es zeigt die Demonstrationen gegen die zweisprachtigen Ortstafeln in den 70er-Jahren. Heute ist der KHD ein Bollwerk gegen die „Privilegierung der slowenischen Minderheit zu Lasten der deutschsprachigen Mehrheitsbevölkerung“. Franz Jordan, stellvertretender Vorsitzender und SPÖ-Mitglied, ist überzeugt, der Anwalt „Vouk hat seinen slowenischen Freunden keinen Dienst getan“. Alte Urängste würden wieder geweckt, denn die Übergriffe slowenischer Partisanen seien unvergessen.
Zwei Realitäten
Die Kärntner leben in zwei unterschiedlichen Realitäten. Die Slowenen erinnern sich an Zwangseindeutschung und Internierung politisch verdächtiger Familien in Dachau, die Deutschkärntner berichten, dass die von Tito organisierten slowenischen Partisanen Dutzende Kärntner ermordet oder verschleppt haben. Für die Slowenen war der bewaffnete Widerstand ein wesentlicher Grund, dass Österreich von der Kriegsschuld freigesprochen wurde und schon 1955 seine volle Souveränität zurückerlangte. Dafür wurden sie im Staatsvertrag mit Rechten und Garantien belohnt. Die Deutschkärntner sind überzeugt, die Slowenen hätten für einen Anschluss an das kommunistische Jugoslawien gekämpft, und wer sich für Zweisprachigkeit einsetze, wolle die Vereinigung mit Slowenien. Deswegen reden Deutschkärntner und Slowenen ständig aneinander vorbei.
Für Vladimir Wakounig sind die Ortstafeln so wichtig, weil damit „die Zweisprachigkeit aus der Privatheit hervorgeholt wird. Sie sind gesellschaftlich und politisch das Sichtbarste.“ Er ist überzeugt, dass Konflikte folgen werden. Allerdings sei die Aufregung längst nicht mehr so groß wie vor 30 Jahren: „Wenn die Sache eskaliert, hat Jörg Haider den Großteil der Verantwortung, weil er sie zum gesellschaftlichen Konflikt macht.“
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