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„Eine aberwitzige Situation“

90 Prozent des rot-roten Koalitionsvertrages sind von der Ampel abgeschrieben, meint Sibyll Klotz, grüne Fraktionschefin. Dagegen muss sie Opposition machen. Gysi als Frauensenator? „Absurd!“

Interview SABINE AM ORDE

taz: Frau Klotz, wie gefällt Ihnen der rot-rote Koalitionsvertrag?

Sibyll Klotz: Kommt mir bekannt vor! Schließlich sind 90 Prozent des Textes inklusive der Überschriften und der Gliederung vom Ampelkoalitionsvertrag übernommen worden. Das ist auch noch mal der Nachweis dafür, dass die Ampel nicht an den Inhalten gescheitert ist.

Müssen Sie also künftig gegen Ihren eigenen Koalitionsvertrag Opposition machen?

Das ist schon eine aberwitzige Situation. Aber geschriebenes Papier ist ja noch nicht gemachte Politik. Und es gibt schon jetzt Punkte, bei denen Verschlechterungen zu beklagen sind, zum Beispiel im Bereich Wissenschaft und Kultur. Das Klinikum Steglitz zu schließen, wäre von uns nicht mitgetragen worden. Oder die Absenkung im Kulturhaushalt, bei dem die Deckungslücke in Richtung 50 Millionen Euro geht. Aber konkrete Vorschläge, wie damit umzugehen ist, wurden gestrichen.

In manchen Bereichen, wie der Bildung, hat die PDS aber mehr rausgeschlagen. Wie wollen Sie linke Opposition gegen eine linke Regierung machen?

Wir werden Schwerpunkte setzen müssen. Einer wird die Haushaltpolitik sein, weil damit steht oder fällt, was in Berlin passieren wird. Die immer wieder gemachte Ankündigung der SPD, dass es ab 2009 keine weitere Nettoneuverschuldung geben wird, ist von Rot-Rot übernommen worden. Das ist aber unrealistisch und Augenwischerei. Genauso wie die Frage, wie die zweite Milliarde Einsparungen im Personalkostenbereich umgesetzt wird. Ein anderer Schwerpunkt wird der ganze Bereich der BürgerInnenrechte, von der Frage des Schutzes von Minderheiten über Gleichstellungspolitik bis zur Integration von Menschen nichtdeutscher Herkunft.

Noch sind Sie an der Regierung, aber als quasi Oppositionspartei machen Sie schon gemeinsame Sache mit der CDU: Wie die Union fordern Sie die Überprüfung von Senatoren und Staatssekretären auf Zusammenarbeit mit der Stasi. Ist das Ihr neuer Oppositionskurs?

Nein, ganz bestimmt nicht. Den undifferenzierten Hau-drauf-Kurs der CDU werden wir nicht mitmachen. Aber die Einsetzung eines Ehrenrates zur Überprüfung, wie wir das für die Abgeordneten fraktionsübergreifend im Jahr 2000 beschlossen haben, werden wir wieder einbringen. Und ich gehe davon aus, dass das von allen Fraktionen mitgetragen wird. Auch die Überprüfung von Senatoren und Staatssekretären ist nichts Neues, aber wir wollen, dass die Ergebnisse öffentlich gemacht werden. Das ist bislang nicht passiert.

Warum noch diese Überprüfung, 12 Jahre nach der Wende?

Eine SPD/PDS-Koalition ist noch keine Selbstverständlichkeit in dieser Stadt, was viel mit der Vergangenheit zu tun hat. Deshalb ist es wichtig, mit Geschichte offensiv umzugehen und das auch aufzuarbeiten.

Ist die Präambel der richtige Weg?

Ich halte die Formulierungen für richtig und tragfähig. Die Frage bleibt natürlich, ob diese Formulierungen von allen Teilen der PDS getragen werden. Das wird die Zukunft beantworten.

Die PDS bekommt drei Senatorenposten – genauso viele wie die Grünen im Übergangssenat. Nur hat die PDS mehr als doppelt so viele Wählerstimmen. Hat sich die PDS zu billig abspeisen lassen?

Ja. Schlicht und ergreifend ja.

Gysi könnte das Ressort Kultur und Wissenschaft oder Wirtschaft, Arbeit und Frauen bekommen. Sie lachen? Ist Gysi als Frauensenator unvorstellbar?

Also das wär ja an Absurdität kaum noch zu übertreffen. Nein, das kann ich mir nicht vorstellen, und ich glaube auch nicht, dass die PDS das machen wird. Das wird wohl der Tausch gewesen sein: Die PDS bekommt nur drei Ressorts, aber dafür die öffentlichkeitswirksame Kultur.

Auf diesem Posten hat Adrienne Goehler mit sachlicher Politik für die Grünen Punkte gemacht. Wird Gysi als Nachfolger hier brillieren können?

Gysi muss mit einem beschnittenen Ressort anfangen. Da wird der Lack bald ab sein. Die Schließung des Uniklinikums Steglitz und drastische Einsparvorgaben im Kulturressort sind beschlossen. Kein guter Einstieg.

Mal ganz unabhängig von der Besetzung: Halten Sie den Zuschnitt der Ressorts, also die Verlagerung von Arbeit und Frauen weg vom Sozialen und hin zur Wirtschaft für sinnvoll?

Arbeit und Soziales auseinanderzureißen, ist eine glatte Fehlentscheidung. Bundesweit rücken Arbeits- und Sozialämter immer stärker zusammen, in Berlin ist die Integration von Sozialhilfeempfängern in den Arbeitsmarkt eine der wichtigsten Aufgaben. Deshalb hat man die Ressorts zusammengelegt. Das rückgängig zu machen, ist nicht gerade zukunftsweisend.

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