: Soll man ein Uniklinikum schließen?
Nein, meint Wissenschaftssenatorin Adrienne Goehler, denn das Uniklinikum Steglitz sei ein Eckpfeiler der wirtschaftlichen Entwicklung der Stadt.
Eine Stadt, die vor der Pleite steht, muss sich jeden Schritt genau überlegen. Überflüssiges muss aufgegeben werden, harte soziale Einschnitte sind unumgänglich, eine Konzentration auf eigene Stärken ist notwendig.
In diesem politischen Prozess ist der roten Koalition (leider) ein schwerer Fehler unterlaufen. Um jährliche Ausgaben in Höhe von rund 100 Millionen Euro für das Universitätsklinikum Benjamin Franklin (UKBF) einzusparen, soll das Klinikum abgewickelt werden. Die rote Koalition amputierte damit ein Bein, mit dem die Stadt wirtschaftlich gerade wieder laufen lernen wollte.
Zu Recht unternimmt Berlin erfolgreich Anstrengungen, um auf dem dynamischen Feld der Medizin/Biomedizin neue Ausgründungen und neue Ansiedlungen von Firmen zu erreichen. Rings um die beiden Universitätsklinika ist genau das entstanden, worum uns andere Regionen beneiden. Wir haben mit dem Biomedizincampus in Buch und in Dahlem die neuen Kerne für den Aufbau von wissensbasierten Arbeitsplätzen geschaffen. Es kommt geradezu einer Zerstörung dieser wirtschaftlichen Zukunftsentwicklung gleich, wenn jetzt das UKBF als ein Eckpfeiler dieser Perspektive abgewickelt wird. Der wirtschaftliche und der Imageschaden für die Region Berlin ist nicht wieder gutzumachen.
An dem Landeszuschuss für das UKBF hängen ca. 1.800 hoch qualifizierte Arbeitsplätze. An den von dem Universitätsklinikum zusätzlich eingeworbenen Forschungsmitteln in Höhe von rund 25 Millionen Euro weitere 400 Arbeitsplätze. Auch die Vorklinik und Zahnklinik werden geschlossen. Eine Schließung des Klinikums löst Rückzahlungsforderungen des Bundes von mindestens etwa 77 Millionen Euro wegen der Hochschulbauförderung aus.
Die Auswirkungen auf die Studentenausbildung ist gravierend. Eine einfache Verlagerung der ca. 4.700 Medizinstudenten vom UKBF an die Charité ist unmöglich. Die Ausbildungskapazität ist an der Charité ausgeschöpft. Es wird also nichts anderes übrig bleiben, als die Studentenausbildung bis zur Abschlussprüfung (ca. 14 Semester) am UKBF beizubehalten, denn darauf haben die Medizinstudenten einen Rechtsanspruch.
Das größte Finanzproblem sind die zukünftig notwendigen Investitionsmaßnahmen zur Modernisierung der jeweiligen Einrichtung. Das UKBF hat mittlerweile ein Alter erreicht, in dem insbesondere der Betten führende Trakt in den nächsten Jahren mit ca. 130 Millionen modernisiert werden muss. Diese Ausgaben sind unabhängig vom Universitätsstatus und gelten auch für ein modernes Krankenhaus. Der Vorteil der Universitätsklinika ist aber, dass 50 Prozent vom Bund gefördert werden, während ein Krankenhaus diese Investitionsmittel alleine aufbringen muss. Da auch die Charité Investitionsnotwendigkeiten in der nächsten Legislaturperiode in Höhe von ca. 150 Millionen hat, habe ich einen Vorschlag zur Begrenzung der jährlichen Investitionsrate auf 15 Millionen Euro plus der Aktivierungen von Grundstücken der Universität sowie die Erwartungen eines Eigenanteils aus der Universitätsmedizin eingebracht. Damit lag ein akzeptabler Vorschlag auf dem Tisch, der das Land nicht überstrapaziert und den Universitätsklinika eine Perspektive bietet.
Im Zusammenhang mit den schon erbrachten Einsparungen in Höhe von 74 Millionen aus laufenden Zuschüssen für die Universitätsmedizin hat die Wissenschaftsverwaltung unter Einvernehmen der Hochschulklinika ein realistisches und sparsames Gesamtkonzept vorbereitet. Dieser Wille zum Kompromiss war aber in der roten Koalition nicht mehr vorhanden.
Alle großen Städte und Regionen in der Bundesrepublik kämpfen um ihre Chancen bei der Ansiedlung von hoch qualifizierten und wissensbasierten Unternehmen. Mit zu den dynamischsten Sektoren gehört die Medizin/Biomedizin. Ein unschätzbarer Vorteil in diesem Konkurrenzkampf ist die Vorhaltung von forschungsaktiven Universitätsklinika und außeruniversitären Forschungseinrichtungen. Die beiden Universitätsklinika in Berlin gehören dabei zu den erfolgreichsten in der Bundesrepublik.
Das Benjamin Franklin wirbt jährlich ca. 25 Millionen (mit steigender Tendenz) an Forschungsmitteln ein. Wissenschaftlich ist es mit dem Max-Delbrück- Centrum in Buch, dem Institut für Molekulare Genetik in Dahlem (nahezu direkt neben dem UKBF), den Forschungsinstituten für Molekulare Pharmakologie, dem Deutschen Herzzentrum etc. vernetzt. Allein das Deutsche Rheumaforschungszentrum, welches das Land Berlin in der Vergangenheit mit dreistelligen Millionenbeträgen neu aufgebaut hat, ist mit etwa einem Drittel seiner Forschungsaktivitäten mit dem UKBF verknüpft. Die Industriekooperationen gehen in die Hunderte. Alle diese Kooperationen bringen zusätzliches Geld nach Berlin, stabilisieren hoch qualifizierte Arbeitsplätze und ermöglichen Ausgründungen und Neuansiedlungen von Firmen.
Ein weiterer Punkt wird in der Regel übersehen. Universitätsklinika haben wegen ihrer hoch spezialisierten Medizin einen überregionalen Versorgungsauftrag für die Behandlung von Patienten. Das UKBF hat durchschnittlich eine 20-prozentige Belegung von Patienten, die nicht aus Berlin kommen. Wirtschaftlich betrachtet, „verkauft und exportiert“ damit das Universitätsklinikum höchst qualifizierte medizinische „Dienstleistungen“ von jährlich ca. 30 Millionen Euro an überregionale Patienten. Ein klassischer Baustein einer modernen Dienstleistungsmetropole.
Wenn man diese realen wirtschaftlichen Vorteile sieht, die das UKBF für Berlin realisieren kann, dann wird sehr deutlich: Universitätsklinika sind Jobmaschinen. Aus diesem Grunde haben sich auch bisher alle Konkurrenzstädte um den Aufbau von Universitätsklinika bemüht und waren nicht so einfältig, welche zu schließen. Die Schließung eines Klinikums ist eine einmalige negative Premiere in der Geschichte der Bundesrepublik. Bremen zum Beispiel, ein noch ärmeres Land als Berlin, geht gerade den umgekehrten Weg. Es stellt zusätzlich 164 Millionen Euro für den Aufbau einer neuen Universität zur Verfügung, weil sie darin einen Hoffnungsschimmer für ihre Stadt sehen. Warum fängt Rot-Rot in Berlin mit solch einem unzivilisatorischen Akt an?
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