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Der Gaumen ist Herzenssache

Die klassische Küche von einst rückt in den Hintergrund. Stattdessen dominieren Fastfood und Pasta, während im Restaurant gerne Exotisches probiert wird. Unser Geschmack und unsere Essgewohnheiten werden vor allem emotional geprägt

In den Küchen hat sich vollzogen, was die Politik erst allmählich wahrhaben will: Deutschland ist ein Einwanderungsland

von CHRISTINE BERGER

Wer gerne am Eisbein nagt, galt lange Zeit als typisch deutsch. Sauerkraut, Schweinebraten, Leber mit Apfelringen, Jägerschnitzel, Kartoffelbrei und Erbspüree sind Reliquien deutscher Küche. Doch wer isst heute so was noch, oder besser gesagt, warum nicht?

Längst hat sich in deutschen Küchen vollzogen, was die Politik erst allmählich wahrhaben will. Deutschland ist ein Einwanderungsland, das gilt besonders für Nahrungsmittel und Essgewohnheiten. Die italienische Esskultur mit Pizza und Pasta haben wir so verinnerlicht, dass unsere Kinder niemals auf die Idee kämen, dass Spirellis weniger deutsch seien als Kartoffeln, die übrigens auch erst seit rund 250 Jahren den hiesigen Speiseplan bereichern. Lachs aus skandinavischer Zucht ist dermaßen eingebürgert, dass kaum ein Buffet ohne seine Anwesenheit auskommt. Fast ausgestorben sind hingegen Gerichte wie Kutteln, das noch vor Jahren fast jeder Haushalt südlich des Mains mehr oder weniger regelmäßig auf den Tisch brachte.

Wenn wir die Küche anderer Länder und Kontinente adaptieren, kommt sie allerdings meist in einer eingedeutschten Form daher. Entenfüße, Schlangensuppe oder hundertjährige Eier, typische Zutaten chinesischer KöchInnen, sind verpönt. Bambussprossen und Tofu aus dem Wok dagegen akzeptiert. „Beim Essen und Trinken spielen Emotionen eine große Rolle“, so der Ernährungspsychologe Professor Dr. Iwer Diedrichsen von der Universität Hohenheim. Fremdes Essen verunsichere die meisten Menschen, sie reagieren deshalb mit Angst und Zurückhaltung und lehnen die fremden Lebensmittel – zunächst einmal – ab.

Fazit: Wer sich auf authentische Gerichte aus fremden Ländern einlässt, braucht Vertrauen. Tischt etwa ein türkischer Freund Hammelhoden auf, fällt die Entscheidung leichter, wenigstens davon zu probieren. Stellen wir dann fest, dass das Gericht schmeckt, ist die Grenze zwischen Ekel und Genuss überwunden. Dass wir etwas gerne essen oder trinken ist in den meisten Fällen antrainiert. Eltern haben uns in mühevoller Arbeit den Geschmack von gekochtem Kohlrabi näher gebracht („Du stehst nicht eher auf, bis das aufgegessen ist“), führen uns schließlich an die Tee- und Kaffeekultur heran, und oft sind es eben auch Mama oder Papa, die einem feierlich zur Konfirmation oder Jugendweihe das erste Glas Wein kredenzen, das wir dann mühevoll (würg) runterspülen.

Niemand kann behaupten, dass ihm das erste Bier wirklich richtig geschmeckt hätte, und den meisten wird beim ersten Zug aus einer Zigarette schlecht. Dennoch machen wir weiter, weil es die anderen auch tun, weil es zum Erwachsenwerden dazugehört oder weil wir plötzlich auf den Geschmack kommen.

In Zeiten, wo Kochen vielen zu zeitaufwendig ist und Essen meist auf das Befriedigen eines Speichelflusses reduziert wird, legen jedoch immer weniger Menschen Wert auf eine abwechslungsreiche Mahlzeit. Kinder, die jeden Tag Nudeln essen wollen, bekommen sie kommentarlos samt Soße aus der Tüte vorgesetzt, dazu reicht man noch ein paar saft- und kraftlose Pfirsiche aus dem Supermarkt. „Jugendliche verbinden mit Fastfood nicht nur den schnellen Snack zwischendurch, sondern hoffen auch ihre Peergroup wiederzufinden“, weiß Diedrichsen. Liebend gerne hingen die Kids halbe Tage bei McDonald’s ab, weil nichts anderes los ist in der Stadt und vor allem, weil es alle so machen. „Das zu essen, was andere essen, dieser Druck ist ungemein.“ Fastfoodketten nutzen dieses Trendbewusstsein mit geschickten Werbe- und Imagekampagnen aus.

Auch der Diätwahn lässt viele Menschen einen großen Bogen um Topf und Pfanne schlagen. Stattdessen stopft man sich heißhungrig einen Döner rein oder lässt sich eine Pizza liefern – oder isst gar nichts. Und während der Magen knurrt, träumt vielleicht der eine oder andere von Rinderrouladen oder Schwarzwurzelgemüse, das Mutter einst mit viel Sorgfalt zubereitete.

Doch keine Bewegung ohne Gegenbewegung. Edellokale mit herausragender Küche haben regen Zulauf, und nicht zuletzt die internationale Slow-Food-Bewegung sorgt mit ihrer Kampagne für Qualität und Vielfalt in der Küche für ein neues Bewusstsein gegenüber den eigenen Essgewohnheiten. An nationale Gefühle wird dabei jedoch selten appeliert. Eher sieht man sich dem Europagedanken verpflichtet und experimentiert unter dem Deckmantel des Panasiatischen munter mit Gewürzen und Zutaten aus aller Welt. So gewöhnen wir uns immer mehr daran, dass auch mal Straußensteak oder Krokodil auf der Speisekarte steht. Das gilt natürlich längst nicht für alle, schließlich ist gutes Essen immer auch eine Frage des Geldes. Während die eine Schülerin mittags mit einer Chipstüte den Hunger stillt, verspeist ihre Freundin zu Hause Dinkelbuletten mit Vollkornreis. Das hat nicht unbedingt etwas mit Wahlfreiheit zu tun, sondern vielmehr mit der Tatsache, dass Eltern mehr oder weniger Wert auf eine gesunde Ernährung legen.

Fragt sich nur, wer kochen soll. Waren es in Deutschland früher vor allem die Mütter, die uns die Liebe zu vielfältigen Gerichten vermittelten und uns zu braven Essern erzogen, sind Frauen heute berufstätig oder haben keine Lust den halben Tag am Herd zu stehen. Da könnten es jetzt zur Abwechslung die Väter sein, die den Kochlöffel schwingen. Rezepte für Rouladen und Spätzle finden sich in jedem Kochbuch.

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