: Und jetzt der Bezirkspolitiker Flierl
Über die Prioritäten des rot-roten Senats: Mit der Ernennung des Exbaustadtrats Thomas Flierl ist der große Traum von der Hauptstadtkultur ausgeträumt, dessen Verwirklichung im Wahlkampf niemand wortreicher beschworen hatte als Gregor Gysi
von RALPH BOLLMANN
Am Ende war es fast wie in Hamburg: Niemand wollte Kultursenator werden. PDS-Spitzenmann Gregor Gysi, der für den Posten schon fest gebucht schien, übernimmt lieber das Ressort Kapitalismus. Exparteichef Lothar Bisky bevorzugt das Amt des Fraktionsvorsitzenden in Brandenburg. Und die Berliner SPD zeigte erst gar kein Interesse an Theatern oder Museen, die sie beinahe erleichtert den Sozialisten überließ. Übrig blieb der PDS-Lokalpolitiker Thomas Flierl.
Ausgeträumt ist damit der große Traum von der Hauptstadtkultur, dessen Verwirklichung im Wahlkampf niemand wortreicher beschworen hatte als Gysi. Aber der Tonfall des Medienstars wurde dabei immer lustloser, je näher der Ernstfall rückte. Dem Politprofi entging nicht: Der Glanz des Themas, das für eine kurze Zeit die Schlagzeilen der Feuilletons beherrscht hatte, ist längst verblasst.
Nicht die glücklosen Senatoren machten die Berlin-Kultur zum nationalen Thema, sondern der Bundes-Zampano Michael Naumann. Wenn er, stets in den Rauch einer Zigarette gehüllt, über die Provinzialität der Hauptstädter zu Feld zog und ohne die üblichen Rücksichten des Politikbetriebs seiner Spottlust freien Lauf ließ – dann verlieh er selbst dem drögen Gefeilsche um Subventionen und Stellenpläne intellektuellen Glanz.
Ganz anders sein Nachfolger Julian Nida-Rümelin, dem bei seinen Berliner Auftritten die Unlust an der Hauptstadt schon ins Gesicht geschrieben steht. Geradezu zwanghaft trägt der Münchner dann irgend ein Witzchen über das Verhältnis zwischen Bayern und Preußen vor. Während Naumann den Kulturföderalismus für Verfassungsfolklore hielt, kann sich Nida-Rümelin für die Idee einer herausgehobenen Hauptstadtkultur nicht begeistern.
Seither ist die Berliner Kultur wieder auf ihre eigene, triste Realität zurückgeworfen. An die letzte wirklich überragende Opernpremiere an den drei hoch subventionierten Musiktheatern kann sich kaum noch jemand erinnern, und die Namen der acht Sinfonieorchester können selbst Konzertgänger kaum auseinander halten. An den fünf staatlichen Schauspielhäusern ist die Lage nicht viel besser. Der geplante Wiederaufbau der Museumsinsel ist noch immer nicht solide finanziert, und bei den Hochschulen – die ebenfalls dem Kulturressort unterstehen – darf sich der neue Senator als erstes um die Schließung eines Uni-Klinikums verdient machen.
Der frühere Bezirksstadtrat Flierl ist schon der fünfte Senator in wenig mehr als zwei Jahren. Zunächst der CDU-Politprofi Peter Radunski, dann die frühere CDU-Bundespolitikerin Christa Thoben, schließlich der als Museumsmann anerkannte, aber politisch unerfahrene Christoph Stölzl – sie alle bekamen die Krise nicht in den Griff.
Erst Adrienne Goehler, die parteilose Kultursenatorin des rot-grünen Übergangssenats, begann vor einem halben Jahr mit der überfälligen Aufräumarbeit. Sie entschied lange verschleppte Personalfragen, darunter die Berufung der Dirigenten Simon Rattle und Daniel Barenboim. Dem erfolglosen Theater des Westens, einer abgewirtschafteten Musicalbühne, drehte sie entschlossen den Geldhahn zu.
Flierl wird es schwer haben in ihre Fußstapfen zu treten – wenn er es überhaupt darauf abgesehen hat, so große Brötchen zu backen. Von 1998 bis 2000 amtierte er als Baustadtrat im Bezirk Berlin-Mitte. Schon damals wollte er nicht anerkennen, dass die historische Innenstadt auch eine gesamtstädtische, geschweige denn gesamtstaatliche Bedeutung hat. Er verkämpfte sich in einem kleinkarierten Streit um die Größe von Reklametafeln, weshalb ihn die Boulevardpresse wahlweise zum „Nerv-Stadtrat“ oder zum „Blockadepolitiker“ erklärte.
Auch in der Kulturszene hat sich Flierl genügend Feinde gemacht. Während er sich einerseits zum Anwalt anspruchsloser Plattenbauten machte, betrieb er andererseits den Abriss des „Ahornblatts“, eines denkmalgeschützten Baus der DDR-Moderne. Den kleinen Galeristen, die sich im Jahrzehnt seit der Wende vorzugsweise in Berlin-Mitte ansiedelten, machte er das Leben schwer – sie galten ihm offenbar als Vorhut des Großkapitals bei der feindlichen Übernahme seines Bezirks.
Da ist es schon fast ein Trost, dass Flierl, gegenüber Gysi und dem auch ins Gespräch gebrachten Lothar Bisky eh nur zweite oder dritte Wahl, wahrscheinlich der ohnmächtigste Kultursenator ist, den Berlin je hatte. Gysi, der sich zum Garanten für das hauptstadtgerechte Wohlverhalten seiner Partei stilisiert, wird auch als Wirtschaftssenator seinen kulturpolitischen Einfluss geltend machen – zumal er auf diesem Feld über weit mehr Kontakte verfügt als Flierl.
Aber auch SPD-Bürgermeister Klaus Wowereit kann dem Kultursenator das Leben schwer machen. Schon als Fraktionschef hatte Wowereit, ein intimer Kenner des Berliner Haushaltsplans, so manchen Plan des CDU-Senators Stölzl torpediert. Aus dieser Zeit verfügt der Rathauschef über kulturpolitische Detailkenntnisse, an die Flierl nicht heranreicht. Zudem steht der frühere Geschäftsführer der Deutschen Oper an der Spitze der Senatskanzlei. Auch mit seiner Hilfe wird Wowereit nach Belieben in das Ressort hineinregieren, ohne dafür die Verantwortung zu übernehmen.
Den Überflieger Gysi hatte die PDS den Berliner Wählern als Kultursenator in Aussicht gestellt. Jetzt bekommen sie den Bezirkspolitiker Flierl. Man wird sich diese Wendung der Dinge merken, denn auch das ist eine Aussage zu den politischen Prioritäten des rot-roten Senats.
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