piwik no script img

Vielbeinige Untermieter

■ Wenn sich das Flohmarkt-Schränkchen plötzlich mit Leben füllt, hilft die gute, alte Salzspritze – und sorgt für überraschende Effekte

Der Flohmarkthändler, der mir das pseudo-antike Schränkchen („aus'm Osten“, wie alle seine Sachen) für 30 Mark verkaufte, war an diesem sonnigen Samstag genauso glücklich wie ich. Er hatte ein Platzproblem weniger. Ich wusste, das Möbel war nicht antik, aber hatte mit seinen drei Schubladen und den zwei Fächern rechts hinter der Tür genau die Größe, nach der ich gesucht hatte. Das superhässliche Furnier hatte er durch leichtes Kratzen mit dem Schlüssel partiell locker abgekriegt, und da-runter schimmerte eindeutig Vollholz, wahrscheinlich Buche.

Nach wochenlanger Schleiferei – feierabends und per Hand natürlich – stand das gute Stück frisch eingewachst im Wohnzimmer meiner Noch-Wohnung und sah einfach super aus. Und war anschaulicher Beweis dafür , dass auch Buchenholz-Furnier seine Reize hat (das etwas mühsame Abtragen der giftig stinkenden Lack-Ölfarbschicht zwischen Furnier I und Furnier II versüßten interessante Artikel über irgendwelche Volksgenossen, mit denen die Schubladen ausgelegt waren). Dass außer den üblichen sommerlichen Gästen auf einmal auch ameisenähnliche Tierchen durchs Wohnzimmer krabbelten, irritierte mich nur begrenzt, landeten die meisten von ihnen doch im Netz der Spinne im Fenstereck, und außerdem kamen sie wahrscheinlich aus dem ollen Holzfußboden, den ich ja gerade verließ.

Beim Umzug erntete ich stolz die Bewunderung für das außergewöhnliche Schränkchen, was mir jedeR HelferIn sofort gerne abnehmen wollte, falls ich es nicht mehr bräuchte. Für seinen neuen Platz unterm Küchenfenster schien es wie gemacht, und als ich noch wochenlang in Kartonchaos lebte, war es mir schon eine Freude, es nur anzusehen.

Dann krabbelten eines Morgens kleine ameisenähnliche Tierchen durch die neue Wohnung, und nachdem ich den Holzfußboden als intakt gecheckt hatte, fiel mein Blick aufs Schränkchen – das ja doch ziemlich holzwurmzerfressen war. Und siehe da: aus den vielen kleinen Löchern in der Rückwand krochen viele kleine Tiere.

Der erste Gegenangriff mit Essigwasser dauerte Tage und half nicht wirklich. Die Amputation der Rückwand entsorgte zwar viele ungeschlüpfte Nachkommen, aber in den anderen Teilen dieses schönen Möbels waren auch noch genug Gänge. Die Fachhändler grinsten breit ob dieser aus dem Osten importierten Termiteninvasion und empfahlen wahlweise: „30 Mark bezahlt? Na, dann schmeißen Sie das Ding doch einfach weg und kaufen mal was Echtes“, oder, wenn meine emotionale Bindung auf eine Art Verständnis stieß: „Dann muss da wohl mal was Hartes ran, und zwar gründlich viel davon.“

Nun ist es nicht jedermans Sache, Bestecke und Nahrungsmittel in insektizidverseuchtem Holz zu lagern. Die Recherche ging also weiter, und ausgerechnet bei einer großen Baumarktkette wurde ich fündig. „Salzlake“, empfahl dort der freundliche Mitarbeiter eine ebenso ökologische wie althergebrachte Methode. „Ist zwar mühsam, aber funktioniert.“

In der Tat: Zwei Wochen lang habe ich jeden Abend mit der 20-ml-Spritze jedes einzelne Loch dieses verdammten Schränkchens voll Salzwasser gespritzt! Kurzsichtig, wie ich bin, natürlich immer mit der Nase überm Geschehen, und da die Fressgänge manchmal nicht nur Ein-, sondern auch Ausgänge hatten – meist an ungeahnter Stelle, ging alle paar Minuten eine Fontäne los, als wäre es ein Projekt der versteckten Kamera. Ein paar Mililiter Salzwasser mit Druck ins Gesicht zu kriegen war eher überraschend, als schlimm. Wenn aber aus manchen Löchern so feiner Holzstaub mit kleinen schwarzen und weißen Dingelchen drin rausquillt und man sich sowas wahrscheinlich gerade auch ins Gesicht gesprüht hat – dann wird's eklig!

Aber es gab ein gutes Ende. Die Salzlake und/oder der Hochdruckspüleffekt haben den kleinen Termiten nachhaltig den Garaus gemacht. Nur das Holz wurde durch die ganze Feuchtigkeit etwas schimmelig – aber da hilft dann ja doch wieder das essig-getränkte Tuch. Mika Glennech

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen